NEBRA

Gurgelnd zwängt sich die Unstrut einige Meter flussaufwärts zwischen den Sandsteinfelsen hindurch. Hier beginnt die 13. Deutsche Weinstraße. Hier wurde der Sandstein gebrochen, der den Ort bekannt machte. Brandenburger Tor, Berliner Reichstag und die Hamburger Börse wurden mit Nebraer Sandstein gebaut. Und in der Breiten Straße Nr. 19 wurde 1867 eine Frau geboren, die in der Provinz ausgiebige Quellen für ihr späteres Schaffen vorfand. Hedwig Courths-Mahler gehört mit ihren Kolportageromanen noch heute zu den meist gelesenen Autorinnen.

Die kleine Stadt, ehemals als zweitkleinste Kreiststadt der DDR im Dornröschenschlaf, wurde im Jahr 1999 wachgerüttelt. Der Fund der Himmelsscheibe auf dem nahen Mittelberg und seine filmreife Entdeckung sollte zum archäologischen Sensationsfund werden und mit seinen 3.600 Jahren die verträumte Gegend an der Unstrut schlagartig und weltweit bekannt machen.

Frauenstatuette, Himmelsscheibe und Hedwig Courths-Mahler

Lange ließ der spektakuläre Fund die Verantwortlichen von Kreis und Stadt in kleinlichen Grabenkämpfen erstarren. Ersten Unmut gab es über die Benennung der Bronzescheibe. Lag sie doch in den Jahrhunderten verborgen in der heutigen, zum Kreis Querfurt gehörenden Gemarkung. Eigentumsfragen wurden vor den Gerichten beantwortet. Letzlich glückte, im Kontex des 6.000 jährigen Sonnenobservatoriums Goseck und der Dolmengöttin von Langeneichstädt die Vermarktung der "Himmelswege". Im ersten Jahr nach der Eröffnung der "Arche Nebra" nahe dem kleinen Ort Wangen lockten Ausstellung und Fundort auf dem nahen Mittelberg 100.000 Besucher. Ein deutlicher Hinweis auf die Zugkfraft der kleinen Scheibe und die Bestätigung für "das richtige Konzept".

Die Frage zur architektonischen Umsetzung des Ausstellungsgebäudes sowie dem Aussichtsturm auf dem Mittelberg werden von Einheimischen und Besuchern unterschiedlich und individuell beantwortet. Wie sehr die futuristische "Arche" in die alte Kulturlandschaft passt, soll doch schließlich im Auge des Betrachters liegen? Mit der Ruhe auf dem ehemals wald- und wildreichen Mittelberg ist es indessen vorbei. Keine Erholung mehr für Rot- und Schwarzwild; keine Chance mehr für Jäger. Die ersten Spuren menschlicher Besiedlung liegen jedoch viel länger zurück.

In seiner ab 1857 unter dem Titel „Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie nebst den Königlichen Familien-, Haus-Fideicommiss- und Schatull-Gütern in naturgetreuen, künstlerisch ausgeführten, farbigen Darstellungen nebst begleitendem Text“ veröffentlichten Grafiksammlung schrieb der Berliner Buchhändler Alexander Friedrich Wilhelm Duncker über Nebra:

In dem zum Querfurter Kreise der Provinz Sachsen gehörigen Theile des Unstrutthales finden wir "oberhalb der kleinen, hart am rechten Ufer des Flusses gelegenen Stadt Nebra, das zu den Rittergütern Nebra und Birkigk gehörige Schloss Nebra. Die Gegend ist reich an Naturschönheiten, wie an historischen Erinnerungen. Auf der Höhe des schroff nach der Unstrut abfallenden Schlossberges, hinter hoch aufsteigenden alten Schutz- und Umfassungsmauern, die auf mächtigen Blöcken des bekannten Nebraer Sandsteins ruhen, umgeben von parkähnlichen Gartenanlagen haben sich die malerischen Ueberreste des einstigen Rittersitzes erhalten. Von hier hat man eine herrliche Aussicht hinab auf die sich anschliessende Stadt, in das liebliche Thal mit üppigen Feldern und Wiesen, weiterhin das anmuthige „Zingst," das Ganze umgürtet vom schiffbaren Strom und waldigen Höhen,-von denen zur Rechten die stolzen Giebel und Thürme der „Vitzenburg" herüber schauen. Vor mehr als dreizehn Jahrhunderten wurde hier am „Runiberge" zwischen den mit den Sachsen verbundenen Franken und den Thüringern, die dreitägige blutige Schlacht geschlagen, welche den letzten von Thüringens Königen, die in der nahen festen Burg Seheidungen ihren Sitz hatten, Krone und Leben raubte.

Weiter nach Westen fällt der Blick, vorüber an den Felsenwänden zahlreicher Steinbrüche, auf dem bewaldeten vom Strome durchbrochenen Gebirgszug, der Thüringens reichgesegnete Goldne Aue bei Memleben, dem einstigen Lieblingsaufenthalte der deutschen Kaiser aus (dem) sächsischen Hause, abschliesst und dem Auge die fernen Ruinen des ehrwürdigen Kyffhäuser verbirgt. Hier an dem Engpass der Steinklebe rächte Herzog Rudolph von Thüringen die Schmach seiner königlichen Vorfahren durch einen glorreichen Sieg, den er im Jahre 640 über den Frankenkönig Sigebert erfocht. Unmittelbar den Nebraer Schlossthürmen gegenüber erhebt sich ein bewaldeter Hügel, von Altersher der Vogelheerd genannt, den die Bewohner der Umgegend gern, obgleich im Widerspruch mit einigen Geschichtsforschern — als den Ort bezeichnen, wo Heinrich dem Finkler die Nachricht seiner Wahl für Deutschlands Krone überbracht wurde. Von den Schicksalen der alten Burg Nebra und ihrer Bewohner hat sich wenig ermitteln lassen. Angeblich machte Ludwig der Springer die für ihn so verhängnissvolle Bekanntschaft der „schönen Adelheid" auf dem Schlosse Nebra, das später als verderbliches Raubnest erobert und im Jahre 1349 zerstört wurde.

Erst von Anfang des 14ten Jahrhunderts ab ist aus den vorhandenen Lehnbriefen mit Sicherheit nachzuweisen, dass um diese Zeit die von Nissmitz Schloss und Stadt Nebra mit den vier Dörfern (Wetzendorf, Wippach, Altenroda und Wangen) sammt „Gerichten, Oberst und Niederst über Halss und Hand" von den „Edlen Herren zu Querfurt" zu Lehn trugen und unter mehrfachem Wechsel der Landes- und Oberlehnsherren bis zu Anfang des 18ten Jahrhunderts ununterbrochen darin sassen. Nur für kurze Jahre traten denn in Folge Kaufes der Königlich Polnische und Churfürstlich Sächsische Feldmarschall Graf Jacob von Flemming und der Hannoversehe Oberamtmann Wedemeyer in Besitz von Nebra, das Letzterer im Jahre 1718 an den Kgl. (Sächsischen) Polen- und Curfürstlich Sachs. Geheimen Rath Reichsgrafen von Hoymb verkaufte. Nach Erlöschen des Mannesstammes der Grafen von Hoymb ererbte im Jahre 1797 deren Güter die einzige Tochter des letzten Besitzers, die als verwittwete Fürstin Reuss Ebersdorf und Libensteinsolche, soweitsie im Querfurter Kreise belegen waren, nämlich Nebra mit Wippach, Birkigt und Gleina, an den Königl. Preuss. Kammerherrn Bernhard H. von Helldorff unter dem 7. April 1830 verkaufte. Von diesem, dem jetzigen Besitzer, wurde dem im Jahre 1756 vom Grafen Gotthelf Ad. von Hoymb neben den alten Ruinen erbauten Schlossgebäude von Nebra durch An- und Umbau in den Jahren 1874 und 75 die jetzige Gestalt gegeben, nachdem er durch Abbruch der alten Wirthschaftsgebäude, die auf der Stadtseite durch neue ersetzt wurden, den Raum zu erweiterten Gartenanlagen und dem freien Blick in's Unstrutthal gewonnen hatte.

Mit dem Hauptgut Nebra und dem dazu gehörigen Vorwerk Wippach ist von Altersher das Gut Birkigt verbunden gewesen, gemeinschaftlich mit diesem besessen und bewirtschaftet worden; in älteren Urkunden wird es noch als Vorwerk bezeichnet, erst die späteren Hypotheken- und Grund-Bücher führen es als selbstständiges Lehn und Rittergut auf. Andere Lehnstücke namentlich die Schäferei zu Wetzendorf mit umfassenden Gerechtsamen haben in Folge stattgehabter Separationen und Ablösungen aufgehört, als selbsttändige Besitzstücke zu existiren. Der Gesammtbesitz von Nebra mit Wippach und Birkigt umfasst mit Einschluss der in neuerer Zeit erworbenen und als Pertinenzstücke zugeschlagenen Grundstücke, etwa 2100 Morgen Acker, 1000 Morgen Wald, 160 Morgen Wiesen und 240 Morgen zum Theil mit Obstbäumen besetzten Triften etc., im Ganzen rund ein Areal von 3500 Morgen.“

Grabungsarbeiten seit den 1930er Jahren auf dem Gelände der Altenburg durch Wissenschaftler des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle brachten zahlreiche Artefakte aus der späten Altsteinzeit zum Vorschein. Die etwa 15.000 Jahre alten Funde, Stichel, Rückenmesser und besonders die symbolträchtigen Frauenfiguren sind Zeugnisse des Wohnverhaltens wie auch religiös motivierter Handlungsweisen des eiszeitlichen Menschen. Das Zusammengehören von Alltag und übernatürlichen Mächten zeigte sich besonders in individuellen Kultobjekten. Von diesem Platz stammt der älteste Skelettrest des Jetztmenschen in Sachsen-Anhalt.