HIMMELSWEGE AN SAALE UND UNSTRUT

Sie ist angekratzt, verkauft, gehandelt, untersucht, analysiert, beschrieben und vermarktet worden und – inzwischen weltberühmt. Auch wenn ihre Echtheit immer wieder bezweifelt wurde, schaffte es die Himmelsscheibe von Nebra dank eines enormen Medieninteresses in den Charts der bekannten Kulturgüter und archäologischen Fundstücke auf den ersten Platz.

Die Welt, Stern und Spiegel, GEO und die Zeit berichteten von den neuesten Erkenntnissen und Untersuchungen. Das National Geographic adelte die kleine Bronzescheibe gleich zweimal auf dem Titelblatt. Das Geheimnis von Nebra wurde gelöst und einige Jahre später mit dem Sonnenobservatorium in Goseck im wissenschaftlich-medialen Zusammenhang erläutert. Die Bronzezeit rückte mit ihren etwa 3.600 Jahren plötzlich aus einer nebulösen Vergangenheit in eine moderne, von I-Phones und Burn-Out geprägte Gegenwart.

Archäologische Popsternchen vom Mittelberg

Was war die Himmelsscheibe? Wozu diente sie und wie war sie zu lesen? Inzwischen scheinen die Rätsel trotz zahlreicher Zweifler und Kritiker gelöst. Doch die Scheibe wurde in den Jahren seit ihrer Entdeckung intensiver auf ihre Echtheit untersucht als manche veröffentlichte Doktorarbeiten. Sachsen-Anhalt sieht sich seit der krimireifen Beschlagnahmung der Himmelsscheibe in einem Baseler Hotel 2002 mit seinem Chefarchäologen Harald Meller als Kreuzritter der Himmelsscheibe; streitet um Patente und Markenschutz ebenso wie um Echtheit und Merchandising. Himmelswege braucht das Land. Und Sachsen-Anhalt, das als Reiseland (leider) immer noch Kulturinteressierte, Naturfreunde und sich selbst, also seine Einwohner, von seinen reichhaltigen Facetten überzeugen muss, tut in gewisser Weise gut daran. Denn bei allem Streit, den das alte Bronzestück seit seiner Ausgrabung durch die beiden Raubgräber Henry Westphal und Mario Renner verursacht hatte, rückte das Interesse am vorgeschichtlichen Meisterwerk auch die Gegend zwischen Vitzenburg, Nebra und Memleben aus ihrer verschlafenen Tristesse. Es ist nun mal nicht alles Gold, was glänzt, sondern auch manchmal eine Bronzescheibe.

Es sind genügend Berichte über die Himmelsscheibe geschrieben worden, daher wäre es nur müßig, gleiches an dieser Stelle zu tun. Interessant indessen ist, dass die Meinungen, Erklärungen, Ansichten und Deutungen auseinandergehen. Nur die öffentlich-wissenschaftlichen Darstellungen scheinen in Zement gemeißelt. Die Einheimischen haben sich an den ganzen Rummel gewöhnt und der einsam gelegenen Gegend schadet es auch nicht, dass die Reisenden und Neugierigen bis zum Feldstück oberhalb von Wangen kommen. Selbst der Mittelberg, wo die Himmelsscheibe gefunden worden sein soll, ist nicht mehr was er war. Die anfängliche Sorge um geflüchtetes Reh- und Rotwild, um die für immer dahingegangene Jagdruhe, ist haltlos geblieben. Das Revierwild ist einige Täler weitergezogen und schert sich in den ruhigen Jahreszeiten nicht um den Touristentrubel. Nur den ehemaligen Jagdgenossen ist der Verdruß noch anzumerken.

Es war ein gewaltiger Medienrummel, der um die Gerichtsprozesse der zwei Grabräuber tobte. Hätten die Bronzestücke im Oberbayrischen gelegen, so hätte sich kein Weißwurstessender Bayer dafür interessiert.

Das sogenannte Schatzregal von Sachsen-Anhalt indessen sorgte neben der nicht abzusprechenden kulturhistorischen Bedeutung für einen medienwirksamen Nebeneffekt und glücklicherweise sorgte der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt Harald Meller nicht nur für prestigeträchtige Auftritte, sondern erfasste die seltene Chance. Archäologie ist seit einigen Jahren nicht mehr die dumpfe und verstaubte Wissenschaft, sondern geliebte Vergangenheit. Zudem setzte sich in den vergangenen Jahren die Erkenntnis durch, das felltragenden Barbaren des Nordens doch nicht ganz hinter dem Berg wohnten.

Der Bau der "Arche Nebra" oberhalb des kleinen Örtchens Wangen sorgte für den llauten lokalpolitischen Aufschrei, der auch aufgrund der modernen Architektur des Gebäudes zu erwarten war. Doch mit dem nötigen Abstand betrachtet - dem Unstruttal konnte nichts besseres passieren. Selbst als es um die Zuordnung der Himmelsscheibe ging, stritten sich die Lokalpolitiker darum, ob das kostbare Stück nach Querfurt oder doch nach Nebra gehöre. Zur Erinnerung: kurioserweise lag der Fundort genau auf der Gemarkungsgrenze der Landkreise Querfurt und Nebra, wobei selbst Nebra bis in die 1950er Jahre Teil des Kreises Querfurt war. Möglicherweise schienen die altvorderen Bronzemenschen gedacht haben "wenn das gute Stück mal in dreitausendsechshundert Jahren ausgegraben wird, dann streiten sich die Behörden erst mal um die Zuständigkeiten."

Inzwischen hat sich die Arche mit ihrem Planetarium an der Unstrut profiliert. "Himmelsscheibe erleben" ist ein wohltuender Schritt jenseits von Hinweisschildern und Flyern. Die zahlreichen Veranstaltungen, Sonderausstellungen, Wochenangebote und Kulturprogramme zeugen vom Engagement der Verantwortlichen und dem ehrlichen Interesse zur geschichtsreichen Region.

Das Merchandise läuft auf Hochtouren und es gibt Romane, Schals, Uhren und fürchterliche Schauerstücke, Ketten und selbst Repliken in brauner Originalpatina. Von wirklichem Interesse sind jedoch die Darstellungen und Veröffentlichungen über Handelswege und überregionale Beziehungen der Bronzemenschen. Globalisierung 1.500 Jahre vor der Zeitenwende, jenseits von dumpfem Barbarentum.

Im Zuge der Vermarktung der archäologischen Sensationsfunde in Sachsen-Anhalt gelang den Verantwortlichen trotz des lokalen Unmuts über den endgültigen Verbleib der Himmelsscheibe im Landesmuseum Halle eine gute Lösung. Die Etablierung der Himmelswege schloss die besonderen kulturellen Leistungen der Altvorderen ein. Das Sonnenobservatorium bei dem kleinen Ort Goseck gehört ebenso dazu wie Langeneichstädt, die Arche Nebra bei Wangen und eben das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Das am 3. Oktober 1819 durch den "Thüringisch-Sächsischen Verein für Erforschung des vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale" in Naumburg gegründete Museum gehört mittlerweile zu den bedeutendsten Europäischen Institutionen.

"Aufsehen erregende Funde werden in Deutschlands ältestem Zweckbau für prähistorische Archäologie in eindrucksvollen Inszenierungen präsentiert." heißt es in der Selbstbeschreibung des Landesmuseums. Und weiter: " Begeben Sie sich zu den Wurzeln der europäischen Kulturgeschichte. Sie werden dabei mehr als nur einer Menschenart begegnen. Zwischen dem altsteinzeitlichen Lagerplatz Bilzingsleben (370.000 Jahre vor heute) und dem Original der Himmelsscheibe von Nebra (3600 Jahre vor heute) liegen unzählige verblüffende Entdeckungen, berührende Einzelschicksale und spannende Geschichten längst vergangener Generationen." Goseck war bis Anfang der 1990er Jahre eher durch sein idyllisch gelegenes Schloss und Experten durch seine LPG bekannt.

Sternenkunde der Vorfahren

Erste, im Dienst der Archäologie unternommene Luftbildaufnahmen änderten dies nachhaltig. "Die Kreisgrabenanlage, die mit ihren 7.000 Jahren als ältestes Observatorium Europas gilt, wurde ausgegraben und rekonstruiert und machte Goseck weit über die Region hinaus bekannt. Seit Ende 2005 ist das Sonnenobservatorium für neugierige Besucher geöffnet und lädt zu einer Reise in die Vergangenheit ein. Im nahe gelegenen Schloss befindet sich eine publikumswirksame Ausstellung zu diesem beeindruckenden archäologischen Fund."

Ähnlich sieht es um Langeneichstädt aus, auch wenn die archäologische Sensation spärlich ausfällt und nur ein leichtes "aha" erwarten lässt. Doch die "Eichstädter Warte" war bisher nur einigen regionalen Hobbyhistorikern bekannt. "Im Jahre 1987 erlangte der kleine Ort Langeneichstädt in Sachsen-Anhalt archäologische Berühmtheit durch den Fund einer außergewöhnlichen Grabanlage aus dem Mittelneolithikum. Das Grab beherbergte einen Menhir mit eingeritzter Dolmengöttin sowie mehrere Schmuckstücke und entführt uns in die Welt der Steinzeitmenschen und ihren Vorstellungen vom Jenseits. Außerdem lässt die Beschaffenheit der Stelle Rückschlüsse auf magische Bräuche zu dieser Zeit zu."

Und letztlich Nebra mit seiner langen Besiedlungsgeschichte. "So belegen z.B. in der Nähe des Besucherzentrums gefundene Hinterlassenschaften des Homo erectus, dass die Besiedlungsgeschichte der Region bereits vor 400.000 Jahren begonnen hat. Weitere Belege für die frühe Besiedlung des Unstruttals sind z.B. der bekannte jungpaläolithische Lagerplatz von Nebra (ca. 15.000 Jahre vor heute) sowie eine Vielzahl von weiteren Funden aus Steinzeit und Bronzezeit. "

Die Ausstellungen des Halleschen Museums für Früh- und Vorgeschichte verblüffen seit dem Fund der Himmelsscheibe von Nebra immer wieder mit neuen Ideen und erfrischenden Sonderausstellungen, wie im Jahre 2010 zu den 200.000 Jahre alten Funden vom Geiseltal.