SARAJEVO 3 von 3 | ||||||||||||
SKIZZEN VOM BALKAN | ||||||||||||
Stari most
Das Wahrzeichen Mostars ist die "Alte Brücke" über die Neretva, die von 1556 bis 1566 vom osmanischen Architekten Mimar Hajrudin erbaut wurde. Der Stadtname kommt von den Brückenwächtern (bosnisch, serbisch, kroatisch: Mostar = Brückenwächter). Am 9. November 1993 wurde die Brücke durch massiven Beschuss von kroatischer Seite zerstört. Als Symbol wurde die Brücke nach dem Krieg restauriert. Die Brücke und die Altstadt wurden am 15. Juli 2005 in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen. |
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Oslobodenje
Die unabhängige Tageszeitung "Oslobodenje" gehört neben "Dnevni Avaz" und "Nezavisne Novine" zu den großen Printmedien. |
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1.383 km sind es bis Sarajevo, die am 18.Juli 2005 vor uns liegen. Seit 1850 ist Sarajevo Hauptstadt von Bosnien; das Land fällt später an Österreich-Ungarn. Am 28.Juni 1914 wird durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand durch den Serben Gavrilo Princip der Erste Weltkrieg ausgelöst. Das Attentat findet wenige Meter vor dem alten Rathaus statt. Austragungsort der Olympischen Winterspiele 1984. Schlachthof während der vierjährigen Belagerung am Ende des 20.Jahrhunderts. Dieser Krieg Anfang der Neunziger Jahre ist es, der noch heute das Bild von Sarajevo, das Bild vom Balkan prägt. Um uns ein eigene Meinung von der aktuellen Situation in der Stadt zu verschaffen, machen wir uns auf den Weg; auf unsere Reportagereise nach Sarajevo. Vor Beginn stand eine intensive Vorbereitung. Intensive Recherche, Auswahlverfahren und Vorbereitungstreffen waren neben anderen die Eintrittskarte für die Teilnahme. Es sollte kein Abenteuerurlaub werden oder eine Studienreise. 25 junge medieninteressierte TeilnehmerInnen wollen schließlich ein objektives Bild einer Stadt zeigen, die in den Medien nur noch bei Gedenkveranstaltungen oder im Zusammenhang von Kriegsverbrechen genannt wird. So steht bereits am Anfang der Reise auch die hohe Verpflichtung, der wir uns selbst ausgesetzt haben. Wir sind alle gespannt auf das, was uns bei unserer Ankunft erwarten wird. Nizza, Edinburgh oder das norwegische Bergen sind genauso weit entfernt wie unser Reiseziel. Palma de Mallorca oder Lissabon sogar noch weiter und seit Jahren fahren die Touristen wieder an die kroatische Küste. Doch das Land im Herzen des ehemaligen Jugoslawiens wird gemieden wie ein Leprapatient. Die Anreise verläuft, von einigen Staus abgesehen, mit unserem Reisebus recht unproblematisch. Die meisten nutzen die Stunden, sich näher kennen zu lernen und über ihre Erwartungen und Motive auszutauschen. Da ist Lisa, die voller Begeisterung über die Reise schreiben will und deren Freundin aus Bosnien während des Krieges geflohen war. Michaela will Tonaufnahmen machen, die dann in Deutschland von Radistationen gesendet werden. Heiko, der seine eigene Meinung zum Fotojournalismus hat, veröffentlicht später einige seiner Bilder. Für uns ist Jan, der bereits öfter mit der Caritas in Sarajevo war, der Balkanexperte. Kristin und Olaf sind die treibenden Kräfte während unserer Reise und trotz auftauchender Probleme immer wieder unsere kompetente Schaltzentrale. Die gut ausgebauten Autobahnen bringen uns schnell bis Bayern und wieder hinaus. In Österreich werden wir nach unserem gemeinsamen Abendessen von Käse, Gurken und Kochschinken Zeugen einer medizinischen Rettungsaktion. Der Patient wird gerettet und wir fahren weiter Richtung Slowenien. Im August werden die Tage merklich kürzer und so bleiben uns nur wenige Augenblicke, aus dem fahrenden Bus einen Blick auf das Land zu werfen. Nach und nach versuchen wir auf unseren Sitzen einige Mützen Schlaf zu finden. Gegen Mitternacht erreichen wir die kroatische Grenze. Vier Stunden später überqueren wir bei Bosanski Samac den Grenzfluss nach Bosnien-Herzegowina. Die nächtliche Fahrt über den Fluss hat ihre eigenen Gesetze. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, mit den Autobahnen, die hier enden, auch Europa zu verlassen. Schemenhaft ist im Dunkeln ein Schild zu erkennen. „Welcome to Republic of Srpska“ steht unter dem kyrillischen Willkommensgruß. Dahinter schlängelt sich die enge Landstraße durch die Nacht. Immer wieder treffen die Lichtkegel unseres Busses Ruinen abseits der Straße. Die zerschossenen und ausgebombten Häuser erinnern stumm an die ethnischen Säuberungen während des Krieges. Aus den Überresten wachsen wilde Sträucher und kleine Bäume heraus. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, auch wenn immer noch nicht allzu viel zu erkennen ist. Endlos schlängelt sich die Straße durch Bosnien. Sarajevo empfängt uns in einem grauen Morgenschleier. Zehn Jahre nach dem Ende der Belagerung erreichen wir eine Stadt, die trotzig versucht, ihre Vergewaltigung hinter sich zu lassen. Entlang der Hauptstraße strecken sich Hochhäuser in den grauen Dunst. Einige von ihnen sind zerstört und ausgebrannt. An vielen Häusern sind die Geschossspuren deutlich zu erkennen. Modern und gläsern präsentieren sich dagegen die Twin Tower und das Pressehochhaus der Tageszeitung „Oslobodenije“. In den engen Straßen hinauf zu unserer Unterkunft stellt unser Busfahrer sein ganzes Können unter Beweis. Unser bosnisches Zuhause auf Zeit ist für viele eine harte Erfahrung. Unsere Gruppe teilt sich drei rostige Duschen und Toiletten nach russischem Vorbild. Das Loch im Boden sorgt dafür, dass einige Vorurteile doch bestätigt werden. Warmes Wasser gibt es jeweils morgens und abends für zwei Stunden. Sarajevo will uns wahrscheinlich mit aller Gewalt beweisen, dass es sich mit dem Krieg um Jahrzehnte in die Vergangenheit geschossen hat. Das Kontrastprogramm erleben wir schon einige Stunden später. Die zentrale Lage der Jugendherberge entschädigt für ihre Schlichtheit. Etwas oberhalb des Zentrums gelegen, stellt der Anstieg noch eine sportliche Herausforderung dar. Es wird Mittag, als wir die Herberge erreichen und die Sonne sticht gleißend auf uns herunter. Sarajevo streckt seine Finger hoch in die Hänge die rechts und links der Miljacka steil aufragen. Zu fünft machen wir uns auf den Weg, uns bis zum ersten Termin einen Überblick über die Stadt zu verschaffen. Auf dem Weg in die Stadt bestätigt sich der erste Eindruck, auch wenn sich die Stadt mit jedem weiteren Schritt in ihr Zentrum erholt. An fast allen Hauswänden sind jedoch Einschusslöcher zu sehen. Manches Haus ist verlassen und bricht in sich zusammen. Später werden wir gewarnt, diese Häuser auf keinen Fall zu betreten, da immer noch die Möglichkeit besteht, dass scharfe Minen in den Gebäuden liegen können. Vieles erinnert stark an Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg; verlassene Gehöfte und vertriebene Bevölkerung nach dem Prinzip der verbrannten Erde. Unser erster offizieller Termin findet in der Deutschen Botschaft statt. Das Botschaftsgelände wird gut gesichert. Vor den Toren hat sich eine kleine Menschentraube gesammelt, die aus unterschiedlichen Gründen eingelassen werden möchte. Nachdem wir die überaus strengen und langwierigen Sicherheitsvorkehrungen hinter uns gebracht haben, nimmt uns der stellvertretende Botschafter in Empfang. Nüchtern und diplomatisch stellt er die Situation im Lande vor. Auf kritische Fragen antwortet er überraschend offen, jedoch ohne sich der Illusion hinzugeben, die Entwicklung im Land beeinflussen zu können. Die schier unerträgliche Situation unter der Bevölkerung, in der „Täter und Betroffene nebeneinander wohnen“, stellt ein größeres Gefahrenpotential dar, als vor der Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas. Als wir in der Abenddämmerung unsere Stadtführung beginnen, mutiert diese teilweise zur Tortur. Gemeinsam mit jungen Medienmachern aus verschiedenen Teilen der aufgelösten Sozialistischen Förderation Jugoslawien, erhalten wir einen Überblick über Sarajevos Geschichte. „Instand Sightseeing“ wird so etwas sicher genannt. Doch so lernen wir das renovierte Theater, die alte Post an der „Sniper-Allee“, die abgebrannte Bibliothek und den Attentatsplatz kennen, an dem Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie am 28.Juni 1914 erschossen wurden. Es ist bereits dunkel, als wir unseren Rundgang vor der Kathedrale beenden. Wir kommen mit Maria und Fikreta ins Gespräch, die auch zu der Gruppe junger Medienmacher gehört. Gemeinsam mit weiteren Kroaten, Serben, Jugoslawen und Makedoniern gehen wir noch in eine der Szenenkneipen Sarajevos. In „The Bar“ wird der Abend noch lang und mit spannenden Gesprächen über das Leben, den Krieg und die Jahre danach gefüllt. Neben den vielen Terminen bestimmen auch die Duschzeiten unser Tagesprogramm von Sarajevo. Warmes Wasser von 07:00 bis 09:00Uhr. Ein kurzes Frühstück und hinunter zum Rathaus, wo wir auf die Bürgermeister treffen. Sarajevo ist, neben Barcelona, Calgary, Coventry und anderen Städten, bereits seit 28 Jahren Partnerstadt von Magdeburg. Fast herzlich ist die Begrüßung durch die Oberbürgermeisterin Samiha Borovac und die beiden Bürgermeister Predrag Mitrovic sowie Josip Jurisic. Das ist das Besondere an Sarajevo. Der kleine Mikrokosmos spiegelt die komplizierte Struktur Bosnien-Herzegowinas wider. Der Staat ist in zwei ethnisch definierte Teilstaaten geteilt: die Bosnisch-Kroatische Förderation und die Serbische Republik (Republik Srpska). Ein dreiköpfiges Präsidium steht dem schwachen Gesamtstaat vor, in dem zwei Drittel des Landeshaushaltes durch ein kompliziertes Verwaltungsmonster verschlungen werden. Auch Sarajevo, die vor dem Krieg auf ihren multiethnischen Charakter stolz war, kann sich den geänderten Verhältnissen nicht verschließen. So stehen uns die bosniakische Bürgermeisterin und ihr kroatischer und serbischer Vertreter gegenüber und beteuern das Besondere dieser administrativen Konstellation. Eine offene Atmosphäre herrscht während der nächsten zwei Stunden, die sich die obersten Vertreter der Stadt für uns junge Medienvertreter nehmen. Selbstverständlich ist Frau …….. stets bemüht, die wachsenden Erfolge im Wiederaufbau der Stadt zu betonen. Eine verständliche Geste, wenn man an die langen Jahre der Belagerung und ständigen Todesgefahr zurückdenkt. Doch in den Jahren des Krieges haben sich Korruption und Mafia zu einem tiefen Geschwür entwickelt. Nur schwer ist diesem, bei einer 40prozentigen Arbeitslosigkeit und weit verbreiteter Armut, beizukommen. Wütend und traurig zugleich machen die Stadtvertreter nur hartnäckige Vorurteile, die diese Themen ansprechen. Trotz aller Freundlichkeit bleiben so manche schwierigen Fragen unbeantwortet. Wahrscheinlich liegt der Grund auch darin, dass einige Fragen auf privater und menschlicher Seite bisher immer noch nicht beantwortet wurden. Am Nachmittag treffen wir uns mit der Gruppe von Fikreta und Maria und stellen die Situation junger Medienmacher in Deutschland vor. Ein demokratisches Vorhaben, das von kritischen Fragen und ungläubigen Gesten begleitet wird. Intensiver und spannender werden die Gespräche am späten Abend im Brauhaus der Stadt. Das Brauhaus liegt wenige Schritte hinter der ehemaligen Kaiser-Moschee und schräg der 1914 erbauten St.Anton Kirche gegenüber. Übrigens ein stilvolles Ambiente und sehr zu empfehlen. Immer wieder scheinen sich die Berichte zu bestätigen, wonach Sarajevo das Leben in schnellen und lauten Rhythmen und Technobeats atmet. Es sind kleine Bars, Discos und die Plätze davor, in denen das Leben in der Nacht pulsiert. Wir lassen uns in die bosnische Herzlichkeit fallen und tanzen mit Maria und ihren Freundinnen bis spät nach Mitternacht. Immer wieder versuchen uns Gepflogenheit und Mentalität des Balkans zu umschmeicheln oder einfach zu vereinnahmen. Doch unser Ablaufplan und deutsche Gründlichkeit lässt uns immer wieder dagegen antreten. Auch wenn der Versuch in manchen Ansätzen immer wieder zum Scheitern verurteilt ist. Jedoch ist die deutsche Akribie nicht die erste Grundeinstellung auf dem Balkan. Trotzdem alles etwas unkoordinierter und chaotischer abzulaufen scheint, kommt es nie zu größeren Katastrophen. Aber wahrscheinlich liegt das wiederum an der guten deutschen Vorausplanung? Den Weg zum Staatsfernsehen von Bosnien-Herzegowina treten wir zu viert mit Marias Gruppe aus dem ehemaligen Jugoslawien an. Der mächtige Betonbunker an der Hauptstraße erinnert an eine Festung und hielt auch allen Angriffen des Krieges stand. Die Ausstattung ist spartanisch; die Sicherheitsvorschriften recht hoch keine Taschenmesser, keine Kameras. Immer wieder fallen uns die Tito-Bilder auf, die an den Wänden an frühere Zeiten zu erinnern scheinen. „Früher war alles besser.“? Oft begegnen uns Menschen in Sarajevo, die die Ära des Josip Tito zurückwünschen. Aus dem Hochbunker werden auch die Radiosendungen des Landes ausgestrahlt. Den Ausführungen und Erklärungen der Angestellten können wir in Ermangelung unseres bosnischen Wortschatzes leider nicht folgen. Doch Maria hat mit uns ein Nachsehen und wird sporadisch unsere treue Dolmetscherin. Kurz vor der größten Hitze trennen wir uns wieder von Marias jugoslawischer Gruppe. Während sich der zweite Trupp auf Besichtigungs- und Fragetour ins Staatsfernsehen begibt, erkunden wir die Umgebung. So entgeht uns auch nicht die Moschee, wenige hundert Meter in Richtung Stadtmitte. Ein Betonklotz, dessen zwei Minarette sich spitz und eindringlich in den blauen Himmel bohren. Berichten des Spiegel zufolge sollen arabische Extremisten versuchen, im Land Fuß zu fassen. „Über eine Millarde Dollar soll Saudi-Arabien bislang rund um Sarajevo investiert haben, unter anderem in den Bau von 158 Moscheen. Fundamentalisten aus Syrien, Ägypten und Algerien sollen zudem Ausbildungslager für Terroristen errichtet haben. Selbst unter Muslimen rufen die Aktivitäten zusätzliche Unruhe hervor. Die Moschee, die wir uns auch von innen ansehen, wurde jedoch mit Unterstützung des indonesischen Königshauses errichtet. Den Nachmittag verbringe ich entspannt mit Jannine und Christin bei einem kräftigen bosnischen Kaffee im Bazaar der Altstadt. In diesen Momenten ist Sarajevo d_i_e Metropole des Balkans, das wahre Bindeglied zwischen Orient und Okzident, zwischen Halbmond und Kreuz. Später erkunden wir die Stadt noch mal auf eigene Faust; hinauf zum Alifakovac Friedhof aus dem 15.Jahrhundert, vorbei am ehemaligen Rathaus, das als Bücherei während der Belagerung beschossen wurde und ausbrannte. Der Kampf der Kulturen wurde im Schatten der ethnischen Schlachten ausgetragen. Am Abend erlebe ich meine Bascarsijske Noci. Press Release 26 July 2005: Death of EUFOR Soldier „A EUFOR soldier, from the Austrian contingent, died early this afternoon at Camp Eaglebase, Tuzla. The circumstances of his death are being investigatedby the appropriate authorities. No other person is thought to be involved in the incident. The Austrian national authorities and the next of kin have been informed.“ Besuch der EUFOR Truppen (Aus dem Reisebericht von Olaf Schütte) "Es ist nur eine kleine Pressenotiz auf der offiziellen Seite der EUFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina: Ein 22jähriger EUFOR-Soldat aus Oberösterreich hat sich das Leben genommen, an dem Tag, an dem wir aus Sarajevo abreisten. Selbstmord. Wie sagte uns Oberstleutnant Henn, Presseoffizier der Bundeswehr bei der EUFOR in Sarajevo? Selbstmord käme auch vor, jedoch bislang nicht in seiner Dienstzeit bei der EUFOR. „In den vier Monaten Einsatz in Bosnien-Herzegowina gibt es keine Heimreise. Große Probleme mit dem seelischen Zustand der Soldaten haben wir aber nicht.“, betonte Henn. Immerhin kümmere sich ein Team aus Truppenpsychologen und anderen Fachleuten um Auffälligkeiten, gäbe es Fitnessräume, Kino und jede Menge kleiner Clubs auf dem Kasernencamp. Trotzdem steht auf dem sonnig-staubigen Appellplatz ein Gedenkstein mit den Namen der Kameraden, die ihr Leben hier ließen. 15 Messingtafeln erinnern an jene, die durch Unfall, Krankheit oder eben Selbstmord nicht mehr in die Heimat zurückkehrten. Der Dienst muss schwer sein in einem fremden, zerstörten und zerrissenen Land. Bei unserem Pressetermin hatten wir nur die Chance, einen kleinen Einblick zu bekommen in das, was die Europäische Union mit der Operation ALTHEA meint. ALTHEA kommt aus dem griechischen und bedeutet „Die Heilende“. So verstehen sich auch die Aufgaben der EUFOR-Soldaten: Sie sollen helfen, die Wunden des Krieges und des Hasses zu heilen. Oberstleutnant Henn hatte uns das im Lehrsaal der Pionierkompanie in Sarajevo anschaulich und mit einer ganzen Reihe von Power-Point-Folien erklärt. „Wir wollen Hilfe sein zur Selbsthilfe, den Leuten die Chance geben, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Wer hier mit erhobenen Zeigefinger herkommt, ist fehl am Platz.“, doziert der stämmige Offizier leidenschaftlich. Vor allem junge Männer sind (wie in sicher jeder Armee der Welt) in Bosnien-Herzegowina stationiert. Gerade mal 40 der rund 1000 Bundeswehrangehörigen im EUFOR-Camp in Sarajevo sind Frauen. So wundert es nicht, dass die „toughen Jungs“, wie der Presseoffizier „seine“ Soldaten stolz nennt, grinsend und einander anstoßend die jungen Kolleginnen unserer Journalistengruppe registrierten. Beziehungen zwischen Soldatinnen und Soldaten sind per Erlass erlaubt, aber selten lange glücklich, erfahren wir. Auch sonst ist die psychische Belastung sehr groß: Probleme mit der Aufgabe, die lange Zeit der Trennung von der Familie und häufiges Zerbrechen von Beziehungen machen es den jungen Männern und Frauen im Auslandseinsatz nicht leicht. Einer von ihnen sah nun offensichtlich keinen Ausweg: Er nahm sich das Leben. 22 Jahre war er alt, das war auch das Durchschnittsalter unsere Journalistengruppe in Sarajevo. Es ist ein Österreicher, aber genauso gut hätte der 22jährige aus Halle stammen können, aus Bernburg oder Salzwedel. Er hätte mit uns im Bus sitzen, den Botschafter und die Bürgermeisterin treffen und mit Gleichaltrigen aus Bosnien, Kroatien, Mazedonien oder Serbien diskutieren können. Er hätte sich wie wir das Tunnelmuseum angesehen und sich beim Pressetermin im EUFOR-Camp vor einem staubigen Schützenpanzer fotografieren lassen. … Es ist nur eine kleine Pressenotiz auf der offiziellen Seite der EUFOR-Truppen in Bosnien-Herzegowina: Death of EUFOR Soldier.“ Ausflug nach Mostar (Aus dem Reisebericht von Christoph Herms) "Er dreht sich noch einmal um. Er lächelt kurz, bevor er die Augen schließt. Unter ihm strömt das metallblaue Wasser des Neretva. Ohne zu zögern breitet er die Arme aus und stürzt sich in die Schlucht. Sekundenlang herrscht fast vollkommene Stille, nur das Klicken der Fotoapparate stört den erhabenen Sprung. Erst als ein kleiner Kopf zwischen den Stromschnellen auftaucht und sich in wenigen, kraftvollen Zügen in Richtung Ufer bewegt, brechen die dutzenden Zuschauer 30 Meter höher in lautes Gejohle und Geklatsche aus. Kinder jubeln, Männer filmen, Frauen lachen. Sie stehen mitten in einer Märchenkulisse aus 1001 Nacht: schneeweiße Häuser reihen sich entlang eines klaren, schnellen Flusses. Beide Ufer werden durch eine steinerne Bogenbrücke verbunden. Hunderte Menschen spazieren täglich über die weißen, glänzenden Straßen, trinken ein kühles Bier oder bummeln über den Basar. Strahlend-blauer Himmel und die begrünten Arkaden vervollkommnen den perfekten Traum vom Orient. Es wird Englisch gesprochen. Und Deutsch. Und Holländisch. Und Italienisch. Mostar ist ein Tummelplatz für westliche Touristen, die sich während ihres Badeurlaubes an der kroatischen Adria mal kurz ins benachbarte Bosnien verirrt haben. Doch die Perfektion ist trügerisch: Diese historische Stadt ist nur eine Kopie. Eine Kopie ihrer selbst. Vor nur zwölf Jahren war Mostar Schauplatz eines brutalen Krieges. Bosniaken und Kroaten legten ihre gemeinsame Heimatstadt in Schutt und Asche. Im November 1993 fiel auch die "Alte Brücke" dem Krieg zum Opfer. Ihre Zerstörung galt damals als Symbol für den Zusammenbruch Jugoslawiens, ihr Wiederaufbau sollte den neuen Frieden auf dem Balkan zeigen. Doch dieser Frieden wird der monumentalen Steinbrücke nicht gerecht. Der Frieden erscheint wackelig und rissig. Internationale Armeetruppen schützen die Ruhe in Bosnien und Herzegowina. Das Land wird von der organisierten Kriminalität unterwandert. Die Narben des Balkankrieges sitzen tief. Kroaten und Bosniaken bilden noch längst keinen gemeinsamen Staat. An den Häusern der kroatischen Gebiete weht die kroatische Flagge, an den bosniakischen Häusern die bosnische Flagge. Nationalstolz sagen die einen, pure Provokation sagen die anderen. Noch heute sind ganze Straßenzüge in Mostar nicht wieder aufgebaut worden. Völlig zerstörte Häuser markieren den Frontverlauf von einst. In vielen Ruinen wachsen mittlerweile Bäume. Auch die bewohnten Häuser sind oftmals von Einschusslöchern durchsetzt. Baustellen prägen das Bild der Vororte. Ausgebrannte Karosserien säumen die Straßen vor der Stadt. Der Krieg kämpft gegen das Vergessen. Er legt seinen Schatten über die Stadt. Nur die Touristen erreicht er nicht. Sie bekommen diese Stadtteile nie zu Gesicht, schwelgen weiter in ihren orientalischen Tagträumen und genießen den kühlen Schatten der weißen Häuserwände." Heiß und hart brennt in den Sommermonaten die Sonne auf den Rücken des Balkans. Doch als wir uns nach dem Frühstück auf dem Weg zur Bosna-Quelle machen, halten Schleierwolken die Strahlen ein wenig zurück. Die Quelle der Bosna, dessen Wasser später auch in die Donau fließen, ist über ein weitflächiges Areal verteilt. Mehrere Teiche sind unter dichten und schattenspendenden Bäumen angelegt. Fliegende Händler verkaufen Trödel und Nippes. Einfache Tontöpfe werden ebenso angeboten wie Maschinenpistolen aus Plaste für Kinder und Vuk, das Maskottchen der Olympischen Winterspiele 1984. Wir genießen den Vormittag und die wohltuende Kühle der Bäume. Gegen Mittag suchen wir verzweifelt das Tunnelmuseum. „Irgendwo in der Nähe des Flughafens“ soll sich der ehemalige Versorgungstunnel befinden, der während der Belagerungsjahre die einzige nichtkontrollierte Verbindung Sarajevos mit der Außenwelt war. Doch um den Flughafen sind mehrere Zufahrtsstrassen gesperrt und vom britischen Kontingent der EUFOR Truppen besetzt. Vereinzelt sind rote Schilder auszumachen, die mit ihrem weißen Totenkopf vor bestehenden Minenfeldern warnen. Wir finden das Haus der Familie Kolar, welches unter anderen Umständen als unscheinbar gelten würde. Mit Absicht. Im Krieg diente das Gelände als Zugang zum Tunnel, der unter dem Flugfeld entlang führte. Nach Kriegsende wurde durch die Familie Kolar das Museum eingerichtet. Auszug aus Tunel von Edis & Bajro Kolar „… Die Situation in der Hauptstadt von BiH war schwierig. Die Serben hatten, unterstützt von der jugoslawischen Armee, keine Probleme die bewohnten Gebiete in und um Sarajevo zu besetzen … Die Stadt war nach der Besetzung des Flughafens komplett eingeschlossen. Die Stadt wurde belagert: kein Wasser, kein Essen, keine Medikamente, keine Elektrizität und kein Treibstoff. Die wenigen bewaffneten Einwohner der Stadt konzentrierten sich auf die Randbezirke der Stadt. Zu dieser Zeit hatte BiH keine offiziellen bewaffneten Streitkräfte. Die Leute waren organisiert in der sog. „patriotischen Liga“, in Polizeieinheiten oder den wohlbekannten „Sarajevo-Kriminellen“. Die jugoslawische Armee hatte noch Kontrolle über die Baracken im Zentrum der Stadt. Die Verteidiger von Sarajevo behielten sie umzingelt. In einer dieser Baracken war die Kommandozentrale der jugoslawischen Armee, angeführt von General Kukanjac. In der Zwischenzeit hatte die jugoslawische Armee den Präsidenten von BiH, Alija Izetbegovic, nach der Landung seines Flugzeuges entführt. Als Gegenleistung für seine Freilassung forderte man die Erlaubnis zum Verlassen der Stadt Sarajevo. Mit Unterstützung der UN wurde der Austausch vollzogen. Der Präsident war wieder in Freiheit, die jugoslawische Armee hatte die Stadt Sarajevo verlassen und bosnische Soldaten hatten eine große Anzahl an Waffen übernehmen können. Nach diesem Ereignis versuchten Serben noch einige Male in die Stadt einzudringen, jedoch scheiterten sämtliche Versuche. Die schmalen Straßen von Sarajevo machten es den Verteidigern leicht, gepanzerte Fahrzeuge zu stoppen. Als Vergeltung für die fehlgeschlagenen Eindringversuche zerstörten die Serben mit ihrer Artillerie die Stadt, ohne dabei eine genaue Zielauswahl zu treffen. Als Ziel wählten sie die Einwohner der Stadt, Schulen, Krankenhäuser und lebenswichtige Einrichtungen der Stadt. Das Leben in der Stadt wurde während dieser Phase zur Hölle. Die Stadt wurde zu einer einzigen großen Ruine. Die wenigen ruhigen Tage waren immer dann, wenn ein internationaler Vertreter sich in der Stadt aufhielt, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Die Einwohner hofften, dass diese Besuche dem Krieg ein Ende bereiten würden. Doch jedes Mal kam man zum selben Ergebnis: kein Ergebnis. … Die UN vollbrachte im Juli 1992 eine positive Tat. Indem sie die Kontrolle über den Flughafen von Sarajevo übernahmen, wurde die Versorgung mit Nahrungsmitteln über die Luftbrücke ermöglicht. Aber in dem Abkomme, das zwischen den UN und den serbischen Kräften unter dem Kommando von General Ratko Mladic geschlossen wurde, verlangten die Serben, dass der Flughafen nur für Zwecke der UN genutzt werden durfte. Der Flugplatz war ein strategisch wichtiger Punkt für die bosnische Armee und die Einwohner von Sarajevo, weil er sich zwischen der Stadt und unbesetztem Gebiet befand. Die Kräfte der UN akzeptierten das Abkommen mit den Serben. Bosnier, die während der Nacht versuchten, den Flugplatz zu überqueren, um mit ihren Familien in Kontakt zu treten oder um Nahrungsmittel und Munition zu organisieren, wurden gestoppt. In wenigen Einzelfällen halfen Angehörige der UN den Leuten bei der Überquerung des Flughafens. … Serbische Scharfschützen, die in der Nähe des Flughafens Stellung bezogen hatten, hinderten die Menschen an der Überquerung des Flugfeldes. Die von ihnen angewandte Methode war für Hunderte Menschen tödlich. Aufgrund der hohen Verluste musste ein anderer, ein neuer Ausgang aus der Stadt gefunden werden. Die spärlich ausgestatteten bosnischen Soldaten konnten den Belagerungsring nicht durchbrechen. Und alle Versuche, die Belagerung von außen zu durchbrechen, schlugen fehl. Die schwierigen Lebensbedingungen und die gefährliche Überquerung des Flughafens brachten die Menschen auf die Idee, eine unterirdische Verbindung herzustellen. Die Idee existierte bereits, speziell bei denjenigen, die den Flughafen vor den Scharfschützen geschützt sicher überqueren wollten. Angehörige des bosnischen Hauptquartiers dachten ebenfalls über einen unterirdischen Kommunikationsweg unter dem Flughafen nach. …“ Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) entstand mit Wirkung zum 01.01.1995 aus der vormaligen „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ KSZE. Sie hat 55 Mitgliedsstaaten: alle Staaten Europas, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, sowie die USA und Kanada. Die Ziele der OSZE sind Sicherung des Friedens und Wiederaufbau nach Konflikten- sie selbst sieht sich als stabilisierender Faktor in Europa. Die Feldmissionen der OSZE sind eines der wesentlichen Instrumente der OSZE bei der Frühwarnung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Die Mandate werden der Missionen werden vom ständigen Rat der OSZE, d.h. im Einvernehmen mit den Gastländern, verabschiedet. Die Tätigkeit der OSZE-Missionen stellt ein in dieser Form einzigartiges Instrument internationaler Unterstützungs-, Beobachtungs- und Beratungsarbeit dar, das auf dem Konsens aller OSZE-Teilnehmerstaaten beruht. Die Feldmission in Bosnien-Herzegowina ist mit mehren hundert Mitarbeitern eine der Größten. ZU den Hauptaufgaben der Mission gehört der Aufbau zivilgesellschaftlicher, rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Missionsaufgaben, etwa multi-ethnische Polizeiausbildung, Grenzbeobachtung, Überwachung von Waffenstillständen, Minderheitenschutz … Die Kritik an der bosnischen Feldmission wird im verschiedenen Berichten zufolge, immer lauter. Nach den Wahlen 2004 verlor sie ihr Mandat, einzelne Politiker oder sogar ganze Parteien auszuschließen. Auch das Einsammeln der Waffen wird mittlerweile von der EUFOR übernommen und auch diese sind inzwischen beschäftigt, diese Aufgabe an lokale Behörden zu übertragen. Die Schulreformen laufen nur schleppend voran und auch der Empfang der Rückkehrer war nur am Anfang stärker organisiert. Weiterhin wird bemängelt, dass das internationale Personal durch ständigen Wechsel keine tiefgreifenden Kenntnisse besitzt. Trotz aller Kritik: die Notwendigkeit internationaler Unterstützung wird in dem Moment deutlich, in dem von den Einwohnern zu hören ist „wenn die weggehen, dann knallt’s“. Unsere Tage sind gezählt. Die Erlebnisse werden, nach einem kurzen Stop auf dem Markt von Sarajevo, der für frisches Obst und Getränke sorgt, auf der anstehenden Rückreise verarbeitet. Doch gehen viele Erfahrungen der letzten Tage tiefer ins Gemüt als erwartet. Die Verarbeitung dauert länger als angenommen. Doch am altersstärksten bleibt das Gefühl der Meisten, Erlebtes gemeinsam zu teilen. Kurz nach Mitternacht erreichen wir auf unserer Rückfahrt die deutsche Grenze. |
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MONTAG, 21.JUNI |
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DIENSTAG, 22.JUNI |
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MITTWOCH, 23.JUNI |
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DONNERSTAG, 24.JUNI |
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FREITAG, 25.JUNI |
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SAMSTAG, 26.JUNI |
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SONNTAG, 27.JUNI |
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MONTAG, 28.JUNI |
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DIENSTAG, 29.JUNI |
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MITTWOCH, 30.JUNI |
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