MEMPHIS / TENNESSEE 1 von 2
USA 911 - HERBSTSPAZIERGANG
Sun Records

Das unabhängige Plattenlabel Sun Records ist seit Jahrzehnten so legendär wie seine Protagonisten. Der Hobbymusiker Sam Phillips gründete 1952 das Labe, welches trendsetzend für die entwicklung des Rock'n'Roll werden sollte. Phillips, der 2003 in Memphis starb, wurden Elvis Presley, Carl Perkins, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis unter Vertrag genommen, die später als "the MillionDollar Quartett bezeichnet wurden. Neben weiteren Künstlern wurden hier B.B.King, Roy Orbison und Billy Lee Riley entdeckt.

Der "Sun-Sound" ging als erster eigener Stil in den Roch'n'Roll ein, nachdem er als Rockabilly zahlreiche Nachahmer fand. Das Studio befindet sich in 706 Union Avenue.

Nine Eleven

Nach den Anschlägen auf die zwei Gebäude des World Trade Centre ändern sich alte Allianzen, Ansichten und verlorene Feindbilder gewinnen ein neues Gesicht. Unmittelbar nach dem 11.09.2001 manifestiert sich der Begriff "Nine Eleven" als "der Tag, der Amerika veränderte".

Elvis Presley war schon lange im Rock’n’Roll-Himmel, als ich in den frühen achtziger Jahren das erste Mal seine Songs hörte und den ersten Film sah. Es war der große amerikanische Traum, die „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte, die der King vorgelebt hatte. Viele Jahre zuvor, tausende Meilen weit weg nicht nur auf einem anderen Kontinent, sondern in einem anderen Gesellschaftssystem, unerreichbar und unvorstellbar. Als gelerntes Kind der Deutschen Demokratischen Republik, geschult in zahlreichen Pionier- und FDJ-Nachmittagen, ging von diesem amerikanischen Jungen der 1950er Jahre eine Faszination aus, die mich dreißig Jahre später erst einholte. Im Land der Arbeiter und Bauern war es so gut wie unmöglich, auf normalem Wege an eine Schallplatte von Elvis zu kommen; auch Bücher oder Berichte waren rar gesät. Vielleicht hing das auch damit zusammen, dass ich meine Jugend in der ostdeutschen Provinz verbrachte, wo das Leben zwar spannend sein konnte, jedoch mit Informationen wenig gesegnet war. Die einzige Amiga-Platte mit Elvis-Stücken war in der Bibliothek ständig ausgeliehen, die Elvis-Biografie von Wolfgang Tilgner hatte ich noch Zeile für Zeile abgeschrieben. Jede Nachricht war eine gute Nachricht!

In den voranschreitenden achtziger Jahren lockerten sich bei den öffentlichen Organen die Vorhänge für westliche Musik. Das Jugendradio DT64 spielte die Rolling Stones und die Beatles. Im Sommer 1986, ich war gerade mit meinen Eltern im Urlaub, verweigerte ich ihnen den Ausflugstag, da DT64 eine ganze Stunde Songs von Elvis spielte. Die Magnetbandkassette war meine Reliquie bis in die späten neunziger Jahre. Inzwischen war ich das, was manche vielleicht einen Fan nennen würden, doch ohne dabei fanatisch jeden Wackelelvis hinter die Autoscheibe kleben zu müssen.. Ich rettete meine jugendliche Begeisterung für Elvis Presley in meine zwanziger Jahre hinüber und ebenso meinen Kindheitstraum „Einmal Graceland und zurück“.

Das Millenniumsjahr begann ohne großen elektronischen Kollaps und endete wie jedes der vorangegangen mit Höhen und Tiefen. Trotz Mauerfall und freier Marktwirtschaft, in der ich jetzt mit den anderen ehemaligen Blauhemdträgern lebte, hatte ich es immer noch nicht geschafft, Graceland einen Besuch abzustatten. Als auch das Jahr 2001 mit großen Schritten seinem Ende näher rückte und ich unaufhaltsam auf die Dreißig zusteuerte, buchte ich kurz entschlossen einen Flug nach Memphis, Tennessee. Der Flug war für Montag, den 10.September 2001 gesetzt. In den U.S.A. würde ich – die Zeitverschiebung berücksichtigt – am frühen Abend des gleichen Tages ankommen. Ich wollte mir Memphis ansehen, Elvis einen Gruß bestellen und die Beale Street zum Mississippi hinunterlaufen. Mit der Greyhound-Linie wollte ich nach Saint Louis hinauf, von wo aus die Pioniertrecks den Westen eroberten und dort Christian treffen, der gerade in den Staaten arbeitete. Auf dem Rückweg wollte ich noch kurz in Nashville, dem Countryherzen und seiner Music Hall of Fame vorbeischauen. Doch die Reise in die Staaten verlief im September 2001 etwas anders als geplant.

Ich hätte es schon als so etwas wie ein Vorzeichen deuten sollen, dass mein Flieger bereits in Hannover Verspätung hatte. Doch einerseits kann ich Vorahnungen heute immer noch nicht richtig deuten und zweitens schaffte ich meinen Anschlussflug in Amsterdam doch noch rechtzeitig. Aufgrund der Verspätungen durfte ich meinen zwanzig Kilo Rucksack direkt mit in die Kabine nehmen. Es sollte das erste und – einzige Mal bleiben. In Amsterdam stieg der Schauspieler Morgan Freeman mit in die Mc Donald Douglas nach Memphis; Business-Class und ohne überhaupt von mir Notiz zu nehmen.

Mein erster Transatlantikflug verlief ohne eine besondere Erwähnung zu bedürfen, außer das die Plätze in der Economy-Class schon damals eng waren und der Flug sich über Ewigkeiten zu erstrecken schien. Wir erreichten Memphis im letzten Abendlicht. An der Kontrolle nahm niemand Notiz von meinem Rucksack, außer den sich darin befindlichen Lebensmittelvorräten, welche auch umgehend in einem großen Mülleimer landeten. Die Wahrscheinlichkeit, die Vereinigten Staaten von Amerika mit frischen Äpfeln zu vergiften, schien ziemlich hoch eingestuft zu werden. Womit ich im September allerdings nicht gerechnet hatte, waren die warmen Temperaturen am Mississippi. Doch Memphis liegt als Schwelle zum tiefen Süden ungefähr auf der Höhe von Casablanca. Ein Taxi brachte mich etwa zehn Meilen außerhalb Memphis‘ zu einem von Deutschland aus gebuchten Motel.

Mein erster Morgen in den Vereinigten Staaten war der 11.September 2001. Inzwischen mit einem historischen Kreuzchen markiert, begann mein Dienstag mit einem schmalen Becher Kaffee und zwei Donuts. Nach Analyse meiner Stadtkarte musste ich notieren, dass sich mein Motel nicht mehr oder noch nicht darauf befand. Ich schulterte meinen Rucksack, lies mir die Richtung nach Graceland weisen und machte mich auf den Weg entlang eines wenig befahrenen Highways. Ich fühlte mich frei, glücklich, kurz vor dem Ziel meiner Jugendträume zu sein – und nach einer Stunde hoffnungslos verlaufen. Ein alter Mann hatte mir im schweren Südstaatendialekt den richtigen Weg zugenuschelt und doch wollte und wollte Elvis‘ Anwesen nicht näher rücken.

Ein stacheldrahtumzäuntes Gelände entpuppte sich nach einigen hundert Metern als Airforce Basis. Kurzentschlossen entschied ich mich, den Marine, der am Eingang Wache schob, erneut nach dem Weg zu fragen. Doch bevor ich noch zu einem „Where ist the Elvis-Presley-Boulevard?“ ansetzen konnte, schwebte die Hand des Mittvierzigers über seinem Pistolenholster und bestimmend forderte er mich auf, meine Sachen am nahen Zaun abzulegen. Verrückte Amerikaner schoss es mir durch den Kopf. Doch für Wortspielereien fand ich nicht mehr genügend Zeit. Ich versuchte mir noch ein Lächeln abzuringen und meine Frage an den Mann zu bringen. Aber augenscheinlich hatte nicht ich, sondern mein neuer amerikanischer Freund zu viel Westernfilme gesehen. Ich fühlte mich wie in Sergio Leones „The Good, The Bad And The Ugly“, nur dass mir der Revolver fehlte. Doch schon hatte mir der Sergeant, ich nannte ihn einfach John R., die Hände auf den Rücken und Handschellen umgelegt.  John war hochgewachsen, durchtrainiert, sicher in vielen Kriegseinsätzen geschult und hatte Frau und Kinder zu Hause. Warum er den Rest seiner Dienstjahre an diesem einsamen Wachposten verbringen musste, war mir schleierhaft, doch ich war froh, dass Dirty Harry bereits in den 1970er Jahren gedreht wurde. John R. grinste mich siegessicher an: „You’re a Hitchhiker, well?“ „Bist ‚nen Globetrotter?“ übersetzte ich die ebenso freundlich wie dahingenuschelte Frage. An den Südstaatenslang würde ich mich erst noch gewöhnen müssen. „Yes“ bestätigte ich kurz und innerlich immer noch den Kopf schüttelnd. Ich würde mir nicht anmerken lassen, was ich von der ganzen Aktion wirklich hielt. John erklärte mir die Situation, von der ich aber nur, der Aufregung und dem schweren Slang geschuldet, nur die Hälfte verstand. Bombenattentat, Flugzeug, Hochhaus und terroristischer Anschlag konnte ich nicht wirklich in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Auch das nur etwas anders betonte Hi-Jacker – Flugzeugentführer – bezog ich mitnichten auf meine Situation. Die Anschläge auf das New Yorker World Trade Centre 1993 hielt ich für die Ursache der überzogenen Sicherheitsmaßnahmen. Niemals wieder würde ich einen Marine nach dem Elvis-Presley-Boulevard fragen.

Im Schatten des Wachhäuschen durfte ich mich hinsetzen; die Hände auf dem Rücken weiterhin gefesselt und John erklärend, dass ich das Vergnügen hatte, noch keine zwanzig Stunden auf dem amerikanischen Kontinent zu sein. Inzwischen war es zehn Uhr vormittags, John grinste, besah sich meinen Reisepass und telefonierte. Aus dem gegenüberstehenden Gebäude trat plötzlich ein Staff Sergeant heraus. Ebenfalls in den Vierzigern, doch bei weitem beleibter als John, stufte ich ihn umgehend in die Kategorie Schreibstufe und Vorgesetzter ein. Nach einem kurzen Gespräch mit John und einem fetten Grinsen, verschwand er wieder in seinem mit Sicherheit klimatisierten Büro. Ich war mir keiner Schuld bewusst und der Meinung, dass sich die Situation bald klären würde. Als der erste Polizeiwagen auftauchte, ein grimmig dreinschauender schwarzer Polizist ausstieg und mich mit Fragen löcherte, schwand meine Zuversicht. „Wo kommst’n her? Bist das erste mal hier? Wo willst’n hin? Was arbeitest’n? Well! Ne, Sorgen musste dir nich‘ machen. Die Daten? Das is‘ Routine. Die komm‘ nur ins System. Memphis Police Departement. Kein Problem.“ Ich war der Meinung, die nächste Hürde genommen zu haben, als der Polizist mir ebenfalls zugrinste. Da hielt plötzlich der nächste Streifenwagen, ein Jeep,  vor uns und zwei weitere schwarze Polizisten stiegen aus. Tiefer Süden, Memphis, Tennessee. Das Interesse an meiner Person schien mir unverhältnismäßig und ich wurde zusehends unruhig. Während sich die Polizisten über ihren gefangenen Hitchhiker, der doch kein Hi-Jacker zu sein schien, austauschten, bot mir John Wasser an. Mit den rücklings gefesselten Händen beugte ich mich über den Wasserspender und genoss jeden einzelnen Schluck.

„Alles im grünen Bereich“, lächelte mich mein Familienvater an. „Die Polizisten kontrollieren nur noch kurz deine Taschen – reine Routine – und dann bringen sie dich nach Graceland.“ Ich konnte es kaum glauben. John nahm mir die Handschellen ab. „Du bist doch hoffentlich nicht sauer auf die Marines?“ „Nö“, ich konnte mir ein Grinsen doch nicht verkneifen. „Aber ich werde einen Marine nie wieder nach dem Elvis-Presley-Boulevard fragen!“  „Gute Reise“, rief mir John hinterher, doch da gewährte ich den Polizisten bereits einen Blick in meinen Rucksack. Nichts Bedrohliches, befand der Ältere. „Schmeiß deinen Kram hinten rein und dich auf den Rücksitz.“ Ich konnte es kaum glauben. Ich war Dirty Harry von der Schippe gesprungen und hatte sogar meinen eigenen Zubringer nach Graceland. Elvis ich komme! Es waren noch etwa fünfzehn Meilen. Einige Minuten mit dem Jeep, doch zu Fuß wäre ich mir vorgekommen wie David Crockett. Ich war immer noch keine zwanzig Stunden in den USA, hatte meine erste Verhaftung hinter mir und die Polizei fuhr mich in Graceland vor. Jefferson Davis, Mickey Mouse und Winnetou. In diesem Land war wirklich alles möglich! Doch von den wahren Ereignissen an der Ostküste hatte ich immer noch keine klare Vorstellung.

Ich hielt der Versuchung stand, auf der Mauer neben einer Eva‘s „Elvis. I’m sorry  I was born late. I love you anyway“ auch meinen sinnheischenden Abdruck zu hinterlassen. Gegenüber Graceland verstaute ich meine Sachen in einem Schließfach, kaufte mir ein Ticket und fuhr mit den anderen Touristen wieder hinüber zum Anwesen. Living room , Jungle room, Music room. Ich war am Ziel meiner Jugendträume angekommen. Im Trophy Room, in einem etwas abseits gelegenen Gebäude  hingen die goldenen Schallplatten des King. Hound Dog, Jailhouse Rock und Don't Be Cruel – die goldenen Schallplatten hingen neben zahllosen anderen. Das laute Klingeln eines Mobiltelefons direkt neben meinem Ohr riss mich aus meinen Überlegungen. „Jo. Mir san hier bei Elvis. Noa, das koan i net sogn. Memphis, Tennessee. Dös is die Provinz. Hier ham mir nix g’hört. Alles ruhig, Koan Problem. Hier is dr Hund begroabn“. Die junge Frau hatte nicht nur eine laute, sondern auch noch fränkische Aussprache. Verärgert verließ ich das Gebäude, doch eine immer weiter wachsende Unruhe schlich sich unaufhaltsam durch meinen Kopf. Ich stand am Grab des King, lies mich fotografieren und sortierte in Gedanken die Ereignisse der letzten Stunden.

Oh, baby let me be your loving teddy bear / Pull a chain around my neck and lead me anywhere / Oh, let me be your teddy bear.
I don't wanna be a tiger cos' tigers play to roughI don't wanna be a lion cos lions ain't the kindYou love enough
That's why I want to be, your teddy bear / Pull a chain around my neck and lead me anywhere / Oh, let me be your teddy bear.
Baby, let me be around you every night / Run your face through my hands and caught to me real tight / Oh, let me be your teddy bear.
I don't wanna be a tiger cos' tigers play to rough / I don't wanna be a lion cos lions ain't the kind / You love enough
That's why I want to be, your teddy bear / Pull a chain around my neck and lead me anywhere / Oh, let me be your teddy bear.
And girls won't leave their teddy bear.

Haupthaus von Graceland

1957 kaufte Elvis das 5,3ha große Anwesen mit einer Villa im Kolonialstil des amerikanischen Südens. Der goldene Käfig wurde einer der wenigen Orte, an dem der "King" auspannen konnte.

Graceland Plaza

Die Besichtigung von Graceland beginnt und endet gegenüber dem Haus an der Graceland Plaza, einem Komplex aus Souvenierläden, Restaurants und einer Post, in dem man auch einen offiziellen Graceland-Stempel erhalten kann. Um den Komplex sind auch die Privatjets Lisa Marie und Hound Dog II Jet Star, das Sincerely Elvis Museum und das Elvis Presley Automobile Museum zu besichtigen.

"Klagemauer"

Die "Klagemauer" um das Anwesen ist die etwas andere Zuwendung der Fans.

Der König lebt

Der Mythos Elvis lebt nach seinem Tod ebenso weiter wie der King noch heute vielfach versucht wird kopiert zu werden.

Beale Street

Die vier Blocks umfassende Straße zwischen Main und 4th Street mit Clubs, Restaurants und Plattenläden ist ein lebendiges Museum, das junge Talente in Amerikas charakteristischstem Musikgenre fördert - dem Mississippi Blues.