KRETA
OLIVEN UND MODERNER WEIN, KALTE ZEITEN IM MITTELMEER
Hafen von Heraklion

"Heraklion war trotz mittelalterlicher Wehranlage und imposanter Hafenfestung aus der Zeit der Venezianer eine laute, stinkende und von modernen Betonklötzen gezeichnete Großstadt. Der nahe Flughafen sorgte für, wie mir damals noch schien, riskante Anflugmanöver, welche die Flugzeuge direkt über dem Stadtzentrum durchführten. "

Mythos Knossos

Die um 1900 von Arthuer Evans begonnen Ausgrabungen erschossen der modernen Zeit die Mythen um das Königreich Knossos und seinen Minotaurus.

„Always look on the bright side of life!” Als mir das Lied aus Monty Pythons “Das Leben des Brian” durch den Kopf ging, saß ich halb erfroren in einer kühlen Gaststätte im verregneten Dikti-Gebirge. Es war Oktober und Kreta nicht mehr auf Touristen eingestellt. Die Saison war vorbei während kühle Winde und Regenschauer auch die letzte Urlaubsstimmung vermiesepeterten.

Das Hotel Flisvos lag direkt am Strand von Chersonisos. Das kleine Gästehaus, der kleine Balkon und das ständige Meeresrauschen halfen darüber hinweg, dass die meisten Restaurants bereits  geschlossen hatten, die letzten Stühle und Tische winterfest gemacht wurden und Kreta sich zur Winterruhe vorbereitete. Für mich war Griechenland indessen mehr als Ouzo und Tsatsiki.

Es waren die Erzählungen des Homer, die Abenteuer des Odysseus und die Sage vom Goldenen Flies. Griechische Demokratie, Olympische Spiele und das Orakel von Delphi lagen jedoch bereits Jahrtausende zurück. Die Insel Kreta hatte, als sich um 900 v.Chr. Stadtstaaten nach griechischem Muster zu bilden begannen. Bereits ihre Hochkultur hinter sich. In der Minoischen Epoche erlebt die Insel ihre Blütezeit. In einem Zeitraum von etwa 1.500 Jahren (2.600 bis 1.100 v.Chr.) entstanden Paläste, Skulpturen und Zivilisationen. Knossos, Phästos und Kydonia gehören unter anderen zu den Zentren jener sagenhaften Kultur, unter der Seefahrt und Handel florieren, Kolonien gegründet und Handelsbeziehungen mit Zypern, Ägypten und Syrien gepflegt werden. Frauen waren natürlicher, emanzipierter und angesehener als heutige Feministinnen. Die Minoerinnen nahmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, an religiösen Zeremonien und Wettkämpfen und weibliche Gottheiten wurden in eigenen Heiligtümern verehrt. Im Zenit der minoischen Kultur, um 1.450 v.Chr. brach jedoch der Vulkan von Thera aus, der große Teile der Insel zerstörte. Später besetzten die Dorer (um 1.100 v.Chr.), griechische Invasoren und die Römer (67 v.Chr.) trotz erheblicher Widerstände die Insel. Byzanz streckte seine Hände um das Jahr 330 nach Kreta; 824 wird die Insel durch die Sarazenen erobert. Etwas mehr als einhundert Jahre später gelangen die Byzantiner wieder in den Besitz der Insel, die in den Folgejahren einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung erlebt. Zahlreiche christliche Griechen siedeln auf Kreta. Im 4.Kreuzzug 1204 fällt Kreta an die Christen, die ihren neuen Besitz an die Venezianer verscherbeln. Mehr als vierhundert Jahren beeinflussen die Venezianer die Geschicke der Insel, bis diese, mit einigen Jahren Unterbrechung, bis 1898 an die Türken fiel. Rebellion und Widerstand gegen die wechselnden Besatzer hatte auf Kreta eine lange und blutige Tradition. Die letzte große Schlacht sollte vorerst im Mai 1941 die „Schlacht um Kreta“ bleiben. Wie dem Schlachtbericht des XI. Fliegerkorps zu entnehmen war, waren die Verluste verheerend: „Die britischen Bodentruppen auf Kreta waren ungefähr dreimal so stark wie angenommen. Die Kampfgebiete auf der Insel waren mit größter Sorgfalt und mit allen Mühen zur Verteidigung vorbereitet worden. Alle Befestigungen waren sehr geschickt getarn. Die auf den Mangel an Informationen zurückzuführende Unkenntnis über die genaue Lage des Feindes gefährdete den Angriff und führte zu außerordentlich hohen und blutigen Verlusten.“ Im „Unternehmen Merkur“ waren nach offiziellen Angaben auf deutscher Seite 3.714 Gefallene und 2.494 Verwundete zu beklagen.

Chersonisos blieb für mich ein kleines, sympathisches Fischernest mit netten Bars und einem zwar schmalen, jedoch angenehmen Strand direkt unter meinem Balkon. Während in früheren Zeiten Piraten ihren Unterschlupf auf der Insel fanden, lies ich es mir bei einem würzigen Kotsifali und Pastitsio gut gehen. Griechenland hatte in den letzten Jahren seine Weine emanzipiert und bot mehr als geharzten Retsina und süße Likörweine. Trockene Qualitätsweine und hochwertige Cuvées aus internationalen Sorten verhalfen den Griechen in die Moderne. Die ägäische Insel steuert inzwischen rund ein Fünftel der griechischen Weinproduktion bei und ist in erster Linie für ihre trockenen Rotweine aus den Sorten Mandelari und eben Kotsifali sowie für einfache und schmackhafte Weißweine bekannt.

Ich nutzte die kühlen Tage und den öffentlichen Personennahverkehr, um mir Rethymnon anzusehen. Die drittgrößte Hafenstadt der Insel war mit netten Bars, einer mächtigen Festung und edlen Kunstgalerien gesegnet sowie mit zahllosen kitschigen Souvenirläden gestraft. Im Hafen lagen dichtgedrängt einige Fischerboote nebeneinander; deren Besatzung ihren frischen Fang aus den Booten stemmten oder alte Netze flickten. In den schmalen Straßen wurden Sardellen, Sardinen, Schwert- und Thunfische angeboten. Auch wenn die Fischbestände darniederliegen und das Meer vor Kreta leer gefischt und verschmutzt ist, so bringen die Kutter doch noch Makrelen, Blöker, Barsche und Oktopusse auf den Markt.

Heraklion war trotz mittelalterlicher Wehranlage und imposanter Hafenfestung aus der Zeit der Venezianer eine laute, stinkende und von modernen Betonklötzen gezeichnete Großstadt. Der nahe Flughafen sorgte für, wie mir damals noch schien, riskante Anflugmanöver, welche die Flugzeuge direkt über dem Stadtzentrum durchführten. Lichtblick war die Museen, welche die alten, zumeist weiblichen Götterfiguren, goldenen Bienenschmuck und den Stierkopf von Knossos ausstellten und einiges zum Lilienprinzen und den blauen Damen preisgaben. Ich fand die Bezeichnungen damals ziemlich witzig, doch die kulturhistorische Bedeutung dieser teils 3.500 Jahre alten Mosaiken aus der Blütezeit der Minoer ist enorm. Mitte der 1990er Jahre war die Himmelsscheibe von Nebra noch nicht gefunden worden und Archäologen der Meinung, dass in den nördlichen Ländern nur Barbaren und langweilige Völker lebten. Erst später versuchten sich die Experten in neuen Theorien.

Ich nutzte die wenigen sonnigen Stunden, eine der vielen Fahrzeugvermietungen und erkundete mit einem blauen Fiat den Osten der Insel. Aghios Nikolaos war eine nette beschauliche Hafenstadt, gediegenen Hotels und viel Nippes. Die Straße entlang der Küste nach Sita führte kurvenreich und mit herrlichen Ausblicken garniert, zwischen Bergen und Mittelmeer entlang bis nach Sitia. Olivenbäume standen stets rechts und links des Weges Spalier und im Schatten der Bäume hielten einige Esel verträumt Siesta. In dem kleinen Städtchen genoss ich die warmen Sonnenstrahlen, einen Kaffee und schrieb eine Unmenge an Postkarten. In den nächsten Jahren sollte ich dieses Ritual manifestieren und war, auch wenn ich wegen meiner schlechter werdenden Handschrift desöfteren gerügt wurde, immer neugierig auf die regionalen Poststempel. Manchmal waren sich jedoch die heimischen Postbeamten ihrer Pflicht nicht bewusst; ließen die Karten ungestempelt oder ich erhielt auf eine wundervolle Briefmarke einen Stempel mit der Kennzeichnung „Briefzentrum“ der Deutschen Post. Dienst ist Dienst und unfrei ist unfrei! Doch selbst in den Zeiten der elektronischen Post und von SMS blieb ich an den zwar konservativen, jedoch mir lieben und individuellen Postkarten hängen.

Den Süden der Insel streifte ich leider nur im untergehenden Tageslicht. Hinter Ano Vianos nehme ich eine schmale Gebirgsstraße, die mich wieder nach Norden führt.  Bei Panagia tauchen plötzlich einige deutsche Kriegsgräber zwischen den leicht bewaldeten und von dürren Gräsern bedeckten Hügeln hervor.

Ich hatte mich an die entspannten und nicht überlaufenen Ferienorte gewöhnt und die Tage zum Erholen genutzt. Da ich mich nicht unter Sightseeing Stress setzen wollte, strich ich die historischen Anlagen von Agia Photia, den Sommerpalast von Phaistos Agia Triada, die spätrömische Stadtsiedlung Gortys und das venezianisches Kastell Frangokastello von meiner Liste und schloss auch die Klöster Arkadi und Preveli. Noch später bedauerte ich, nicht durch die Imbros- und Samaria-Schlucht gewandert zu sein.

Doch ich fand, dass die Lasithi-Hochebene eine prima Alternative war, mietete mir einen gelben Motorroller und fuhr ins wolkenverhangene Gebirge. Dass in den Bergen Schnee liegen könnte und die Temperaturen dementsprechend unter den Gefrierpunkt reichen würden, war mir nicht bewusst. Ich flog mit meinem Roller in die etwa 850 Meter hochgelegene Hochebene, die von einer mächtigen Bergkette umgeben war. Vereinzelte Gehöfte und die so charakteristischen Windmühlen waren über das Tal verstreut und die Bauern damit beschäftigt, die Winterfurche zu ziehen. Als ich mein Ziel, die Höhle von Psychro, die auch als Zeus-Höhle bekannt ist, erreichte, schauten mich drei Einheimische befremdet an, da sie zu dieser Zeit sicher nicht mehr mit Gästen, geschweige denn auf Mopedfahrer gerechnet hatten. Da ich jedoch kein Interesse an einem geführten Eselsritt hinauf zur Höhle hatte, tat ich den drei Griechen auch den Gefallen und störte sie nicht im Rechenmodell. Ich fror bereits erbärmlich und beschloss, den Rückweg schnellstens anzutreten. Auf dem Weg hinunter ins Tal, fuhr ich aus der klaren Kälte des Gebirges in eine graue Wolkenmasse hinein.

Und nun saß ich, vom Regen durchnässt in einer kühlen Gaststätte, die ihren riesigen Kamin noch nicht befeuert hatte und auch an den Heizkosten mächtig sparte. Meine klammen Fingern zitterten mit einer Tasse Tee herum und meine Knie, die ich versucht hatte, notdürftig mit einem Plastetüte gegen den stärksten Regen zu schützen, wollten und wollten nicht auftauen. Der Regenerationsprozess setzte nur mühsam ein und nach einer Stunde setzte ich meine Fahrt ins Tal fort. „Always look on the bright side of life!” Ich erholte mich bei einem wärmenden Ouzo, lies mir am Abend die frischen Kalamari, Weißbrot und eine Bier schmecken und verbrachte die letzten Stunden am Strand.

Seemannsgarn

"Im Hafen lagen dichtgedrängt einige Fischerboote nebeneinander; deren Besatzung ... alte Netze flickten.

Küste bei Chersonissos

Im Mittelalter waren die Küstengebiete wegen der vielen Piraten bei den Seefahrern und Händlern gefürchtet.

Dikti-Gebirge

Im Herbst wird es kühl im südlichen Mittelmeer. Die kühlen Winde und häufigen Schauer lassen die Saison bereits im Oktober zu Ende gehen.

Knossos

Die systematischen Ausgrabungen von Arthur Evans dauerten 35 Jahre.

Landidylle

"... und im Schatten der Bäume hielten einige Esel verträumt Siesta."