SARAJEVO 1 von 3
ANSICHTEN VOM BALKAN
Skyline von Sarajevo

Auf dem Balkan treffen seit Jahrhunderten Ost und West, Christen und Muslime aufeinander - immer wieder Potential und Zündstoff für Krisen.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Anfang der 1990er Jahre erreichten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. In einer Volksabstimmung entschieden sich die bosnischen Muslime (Bosniaken) daraufhin auch für einen unabhängigen Staat. Doch diese Entscheidung wurde von den bosnischen Serben boykottiert, die einen großserbischen Staat anstrebten. Der Konflikt um ethische und territoriale Grenzen setzte sich fort und mündete letztlich im Balkankrieg der 1990er Jahre.

Bundeswehr in Sarajevo

Am 13.Dezember 1996 stimmte der Deutsche Bundestag der Entsendung von bis zu 3.000 deutschen Soldaten zu. Am 17.November 2004 machte das Parlament den Weg frei für eine Beteiligung der Bundeswehr an der Operation "Althea".

Wie soll man ein Land beschreiben, welches gemeinhin als Schmelztiegel der Kulturen bekannt und seit Jahrhunderten das Scharnier zwischen Orient und Okzident ist? Es ist nicht einfach, über den „Brennpunkt Europas“, das „Pulverfass“ zu berichten, ohne die notwendige Objektivität zu verlieren. Nach dem Balkankrieg in den 1990er Jahren ist Bosnien-Herzegowina zerrütteter denn je. Die Narben der „ethnischen und kulturellen Säuberungen“ haben sich in diesen Teil des ehemaligen Jugoslawien tiefer in die Seele der Menschen eingegraben als anderswo.

Mit Sicherheit wird geraten, sich dem Balkan offen und voller Neugier zuzuwenden. Je objektiver man sich dem Land nähert, umso eher besteht die Chance, Antworten zu erhalten auf Fragen, die noch gar nicht gestellt wurden. Unvoreingenommenheit ist der Schlüssel zur Seele eines Landes. Besonders gilt dies für den Balkan - der mitten in Europa liegt.

Wie begegnet man einer Stadt, die 1984 das Symbol winterlicher Sportwettkämpfe war und nur acht Jahre zum Massengrab mutierte? Wie nähert man sich einem Land in Europa, das am Ende des 20.Jahrhunderts zerbombt und vergewaltigt wurde? Wie tritt man den Menschen gegenüber, die beschossen und vertrieben wurden? Wie wird man dort erwartet, wo es vor dem Krieg „keinen Grund gab, aber jetzt tausend“ um wieder zu schießen?

Das aktuelle Bild des Balkans ist geprägt von einem Krieg, der vor zehn Jahren zu Ende ging. Ein Brudermorden, das für viele nur ein Gemetzel und blutiges Schlachten war. Selbst der Begriff „ethnische Säuberung“ hört sich noch im Nachklang klinisch rein an.

Doch Vorurteile? Nein, Vorurteile hatten mich nicht nach Sarajevo geführt. Eher war es die Neugier auf das Land. Vielleicht auch der Versuch, etwas von den Gründen zu verstehen, die zum Ausbruch der Bestie Mensch führte und wie sich der Balkan nach dem Krieg entwickelt hat. Ich sah unsere Reportagereise als eine Chance, hinter die Kulissen zu sehen. Lokalpolitiker und EUFOR-Soldaten, junge Menschen, Einwohner und Mitarbeiter der OSZE kennen zulernen. Die verschiedenen Facetten eines Landes im Eilzugtempo zu erhaschen. Ich glaube, auch den anderen ging es so.

25 junge Journalisten, Reporter und Neugierige wollten sich ein eigenes Bild machen. Vielleicht war die Motivation manchmal eine andere. Das Interesse für die Belagerung Sarajevos stand jedoch, im Gegensatz zu anderen Studienreisen, an erster Stelle. Nun, vor dem Hintergrund der langen Belagerungszeit der Stadt konnte ich mich vor der Abreise einer gewissen Beklemmung auch nicht erwehren. Vielleicht war es doch eine gewisse Art von Vorurteil dem Brennpunkt Balkan gegenüber. Wir brauchten etwa 23 Stunden von Magdeburg nach Sarajevo. Das gemeinsame Interesse an dieser außergewöhnlichen Reise, nette Gespräche und die vielen Versuche, ein wenig Schlaf auf den Sitzen zu finden, begleiteten die 1.383 km.

Was danach folgte, waren ein gut geschnürtes Paket an Terminen, neue Bekanntschaften und zahlreiche Überraschungen, welche die Stadt selbst für uns bereithielt. In der Zwischenzeit ist einiges über den Besuch bei den EUFOR-Truppen, der deutschen Botschaft oder Mostars geschrieben worden. Positive Gesten, Erklärungsnot oder Ratlosigkeit kamen meistens von offizieller Seite. Dem gegenüber stand das Vertrauen, das dem Land und seiner Jugend genommen wurde. Zorn und Trauer sind meist die Antwort der jungen Menschen auf die blutigen Jahre auf dem Balkan.

Während es nach Kroatien von Jahr zu Jahr immer mehr Touristen zieht, hat sich besonders Bosnien-Herzegowina um Jahrzehnte auf die Stunde Null zurückgemordet. Der Erholungsprozess geht voran, solange nur der materielle und bauliche Zustand betrachtet wird. Von der Europäischen Union wird das Land beim Wiederaufbau unterstützt, auch wenn es immer zu wenig ist, wie wir von der Stadtoberen von Sarajevo hören. Die internationale Gemeinschaft versucht nun, ein wenig den Schaden zu begrenzen und die Scharte auszubessern, die geschlagen wurde. Doch wie will sie das an den gebrochenen Seelen der Menschen gut machen, was sie hätte nie zulassen dürfen.

Der Journalist David Rieff beschrieb in seinem Buch „Schlachthaus“ Bosnien und das Versagen des Westens. Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1995 in Dayton, wurde es in den Medien ruhiger um das Land. So dominiert allein das Entsetzen über das, was vor zehn Jahren in den Ländern passierte, die nun von Minen verseucht sind und die Angst vor dem Patienten Balkan. Doch das Leben geht weiter. Muss es einfach in Bosnien-Herzegowina und Sarajevo. Trotz 40prozentiger Arbeitslosigkeit, Armut und hoher Kriminalität, die sich besonders in den Belagerungsjahren etablieren konnte.

Hochhaus in Mostar

Besonders schwere Kämpfe erlebt Mostar 1993. Durch gezielten Beschuss wird die alte Brücke über die Neretva am 09.November aus rein propaganditischen Gründen zerstört.

Maria und Fikreta

Die Erinnerungen an den Krieg aus Kindheitstagen können die jungen Frauen nicht vergessen. Doch die Zukunft liegt vor ihnen und es liegt in ihren Händen, diese ohne Hass zu gestalten.