SARAJEVO 2 von 3
WELCOME TO SARAJEVO
Moschee am Baščaršija-Platz

Heute ist die Stadt Sitz des Großmuftis der bosnisch-herzegowinischen Muslime, des Metropoliten der serbisch-orthodoxen Kirche und eines Erzbischofs der römisch-katholischen Kirche. 

In Sarajevo werden eine Vielzahl verschiedener Religionen ausgeübt. In der Stadt findet man Moscheen, Kirchen und Synagogen nicht weit voneinander entfernt. Deswegen wird die Stadt gelegentlich Klein-Jerusalem oder auch Europäisches Jerusalem genannt.
Bascarsijske Noci

Die Nächte von Bascarsijske ist die größte Kuturveranstaltung von Bosnien-Herzegowina und lockt jährlich etwa 150.000 Menschen nach Sarajevo.

Ein Abend wird mir von all den anderen in besonderer Erinnerung bleiben. Wir waren bereits früh aufgestanden, hatten uns mit der Gruppe um Fikreta, Suzanna und Maria den Hochbunker des Staatsfernsehens besichtigt und waren noch ein wenig auf Sightseeing durch Sarajevos Altstadt. Der Vollständigkeit halber muss ich erwähnen, dass die drei Frauen aus den verschiedenen Teilen des alten Jugoslawiens kamen. Sie gehörten einer Gruppe junger Nachwuchsjournalisten an, die sich in Sarajevo zu einem Seminar getroffen hatten. Ein Glücksfall für uns. So unterschiedlich die einzelnen Männer und Frauen waren, so neugierig waren sie auch auf uns Deutsche. Auf unsere Arbeit als junge Journalisten, Reporter und Berichterstatter waren sie ebenso gespannt wie wir auf ihr Leben auf dem Balkan.

Ein weiterer Glücksfall waren für uns die „Bascarsijske noci“ von Sarajevo. Das jährlich stattfindende Kulturereignis fand gegenüber der alten Nationalbibliothek, auf der anderen Uferseite der Miljaka, statt. Fikreta hatte mich überredet, mitzukommen. Die junge Bosniakin aus Tusla, die den Krieg schon bewusst miterlebte, kümmert sich freiwillig um Waisenkinder und Kriegsgeschädigte. „Ich will es einfach, weil ich es für wichtig halte“, beteuerte mir die 18jährige. Trotzdem sieht sie ihre Zukunft nicht auf dem Balkan.

Nun, diesen Abend gingen wir aufs Konzert. Zusammen mit Daza und einem jungen Kroaten, dessen Name mir leider entfallen ist. Ich möchte ihn hier einfach Milan nennen. Auf dem Weg erklärte mir Milan, um welcher Sänger es sich handelte. Mir war Dorde Balasevic bisher unbekannt gewesen. Der Jugoslawe – vor dem Krieg bezeichneten sich Serben, Kroaten, und alle andere Jugoslawen nur als solche – war schon in den 80er Jahren der Nationalbarde der Volksrepublik Jugoslawien. In den 90er Jahren, nach Ausbruch des Krieges floh Balasevic nach Slowenien, wo er sich für den Frieden in seiner Heimat sang. Für viele war er ein Verräter. Für die Menschen auf dem Platz war er ein Idol.

Der Andrang war enorm. Je näher wir uns zur Bühne vorkämpften, umso enger standen die Menschen. Ich fühlte mich wie auf einem deutschen Rockkonzert. Der Unterschied war nur, dass hier das Fanalter zwischen fünf und 75 Jahren lag. Mit etwas Verspätung, so wie es sich für einen Künstler gehört, kam Dorde Balasevic auf die Bühne. Es musste von ihm irgendetwas Magisches ausgehen, da die Menschenmenge zu jubeln begann. Daza und Milan, die den Sänger nur von den Schallplatten und CD’s ihrer Eltern kannten, konnten sich vor Begeisterung kaum zusammenreißen. Dorde Balasevic sang von der Heimat, von Liebe und Krieg, Hass und Vergebung. Wie es sich für einen Nationalbarden gehört. Ich konnte kein Wort verstehen. Doch die elektrisierende Stimmung unter den Menschen, die hier von den Alltagssorgen eine kurze Pause nahmen, riss mich einfach mit. Ich selbst fand unter den Anwesenden keine potentiellen Attentäter oder Bombenleger.

Sicher, ein mulmiges Gefühl stellte sich manchmal schon ein, als mir die Worte eines Politikers hier in Sarajevo durch den Kopf gingen: „Die Menschen untereinander sind misstrauisch geworden. Woher wollen Sie wissen, ob Ihr Nachbar nicht auch zu denen gehört hat, die oben auf den Hügeln standen und geschossen haben?“

Ich hob meinen Kopf in den Nacken. Über uns erhellte ein klarer Vollmond die Hügel oberhalb Sarajevos. Dort oben standen die Geschütze und nahmen vier lange Jahre die Stadt unter Beschuss. Für einen Moment schloss ich die Augen. Dorde Balasevic sang gerade wieder eines seiner melodischen, tragenden Lieder. Eines mit diesen traurigen und melancholischen Texten, für die das slawische Liedgut so bekannt ist. Ein leichter Schauer fuhr mir den Rücken hinunter, als mir die Fernsehbilder der Belagerung durch den Kopf schossen. Nur einige Meter hinter mir lag die Nationalbibliothek, die 1992 nach starkem Beschuss ausbrannte. Dort begann auch die Straße entlang der Miljaka, die als „Sniperallee“ einen blutigen Beinamen erhielt. Nur schemenhaft konnte ich mich an die Fernsehbilder erinnern. Zu weit weg lag Jugoslawien, das ich vor dem Krieg nie betreten hatte.

Als ich meine Augen wieder öffnete, unterhielt sich Fiekreta gerade mit einer jungen Gruppe Männern. Daza und Milan hingegen hatten sich in Ekstase gesungen. Lange noch sang Balasevic seine Lieder und spöttelte über Politik und Sture Köpfe. Ich verließ das Konzert schon etwas früher. Der Vollmond ließ jede dunkle Gasse heller scheinen, die kräftige Stimme von Dorde Balasevic begleitete mich lange durch die Sarajevo. Ein wenig Hoffnung schwang in ihr für mich mit und mir schienen die Stadt und das tief vom Krieg vernarbte Land nicht mehr so düster wie zuvor. Das Leben geht weiter nach dem Krieg.

Doch wie tief stecken Hass, Angst und Hoffnungslosigkeit in den Menschen des Balkans? Muss die Zukunft positiv gesprochen werden? Wie groß sind die Chancen, dass sich der Balkan mit seinem Brudermord selbst am tiefsten auseinander zu setzen vermag? Erst dann mag sich die Zukunft etwas sicherer entwickeln, als es derzeit von den offiziellen Seiten verkündet wird.

„Auch der tut Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, Befiehlt es!“ sagte einmal Marc Aurel. Wo waren nun die Gründe, die zum Morden führten? „Vor dem Krieg gab es keinen Grund für die blutigen Auseinandersetzungen. Heute gibt es Tausende.“ Düster liegen die Worte Muhameds, unseres jungen Dolmetschers, heute über seiner Zukunft; der Zukunft eines Landes, das mitten in Europa liegt.„Wir selber wollten es nicht wahr haben. Keiner konnte sich vorstellen, dass bei uns Krieg sein würde.“, klingen mir seine Worte noch heute nach.

Welcome To Sarajevo. Welcome To Europe.

Marktplatz

Der lange Krieg kam nur noch selten in die Berichterstattung westlicher Medien. Erst solche Massaker wie der Einschlag einer Granate auf dem Markt mit 68 Toten am 05.Februar 1994 rückten die blutigen Auseinandersetzungen in Europa wieder in den Alltag hinein.

Friedhof in Sarajevo

Kriegsbedingt erlangte die Wirtschaft zwischen 1992 und 1995 massive Rückschläge. Zehn Jahre später ist das wirtschaftliche Vorkriegsniveau immer noch nicht erreicht. Die Folge sind hohe Arbeitslosigkeit (ca.40%) und viele Obdachlose in den Straßen der Stadt.