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Gilt heute der Vancouverism als Inbegriff des lebenswerten um umweltgerechten Städtebaus, so diente Vancouver selbst in seinen Entstehungsjahren etwas mehr als 150 Jahre zuvor nur als Tor zu den großen Goldfeldern Kanadas. Ich hatte meinen kurzen Sprachkurs-Mikrokosmos hinter mir gelassen und nutzte noch die restlichen Tage bis zum Abflug, um über die Coast Mountains ostwärts in Richtung Glacier National Park zu fahren. Der kleinste Mietwagen, den ich reserviert hatte, stellte sich als spritfressender Ford Mustang GT, 5.0Liter V8 mit 421PS heraus, der jedoch ziemlich passend für meinen kurzen Roadtrip schien. Immerhin sollte ich dem geschichtsträchtigen Mustang in den folgenden Tagen einige nette Begegnungen verdanken.
Die Geschichte von British-Columbia begann für mich indessen in der 23433 Mavis Avenue, Langley, BC V1M 2R5. Hier lag einst der Handelsposten der Hudson’s Bay Company in der heutigen Ortschaft Fort Langley, der 1923 von der kanadischen Regierung zur National Historic Site of Canada erklärt wurde. Die heutige „Fort Langley National Historic Site“ diente seit 1839 der HBC als Handelsposten mit den Indianern und als Warenlager. Den ehemals strategischen Stützpunkt hatte ich einige Jahre zuvor zum ersten Mal besucht. Das von Holzpalisaden umringte Gelände mit seiner Schmiede, dem original erhaltenen Lagerhaus von 1840, den rekonstruierten Wohnquartieren und dem großen Verwaltungsgebäude ist ein lebhaftes Freilichtmuseum. Nachdem ich einen alten Bekannten wiederentdeckt hatte, fühlte ich mich in die Zeit der Trapper zurückversetzt. Während sich der Goldrausch positiv auf die weitere Entwicklung Westkanadas auswirkte, endete für die Hudson’s Bay Company das Monopol in der Region, als James Douglas am 19.Dezember 1858 im Fort die Kronkolonie British Columbia ausrief. Die Gebäude verfielen und die HBC gab Ende des 19.Jahrhunderts die Gebäude am Fluss auf.
Auf dem Weg zum Glacier National Park folgte ich den Spuren des Goldrausches flussaufwärts bis Hope. Entlang des Fraser River, der fast 1.400 Kilometer nördlich in der Nähe des Mt. Robson in den Rocky Mountains entspringt, zogen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts Tausende auf der Suche nach Gold. Der Fraser-Goldrausch 1858 sollte sich mit dem Cariboo-Goldrausch von 1861 in die globalen Goldfieber des 19.Jahrhunderts einreihen und viele tausende von Goldschürfern, teils mit ihren Familien, in den Westen der kanadischen Wildnis bringen. Die meisten kamen mit dem Schiff bis nach Yale hinauf. Dort begann, da der Fluss nördlich nicht mehr schiffbar ist, die so genannte Cariboo Wagon Road.
Einer der ersten Orte auf dem Goldpfad war Hope, das mich windig und launisch am südlichen Ende des Fraser Canyons empfing. Der Goldrausch ging an dem Ort weitestgehend vorbei, da Hope nur als Durchgang auf die nördlichen Goldfelder diente. Erst 1918 wurde nach mehrjährigen Bauarbeiten die Kettle Valley Railway durch den nahen Coquihalla Canyon in Betrieb genommen, in den Krisenjahren nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch wieder eingestellt. Die Wirtschaft schlitterte ebenfalls von Krise zu Krise. Das Schachbrettmuster des Ortes, an dem sich drei Highways treffen, machte es einfach, sich zu orientieren. Die Historic Christ Church Anglican von 1861 verlieh der „Hoffnung“ eine historische Note, der Japanese Friendship Garden im Memorial Park sollte zur Versöhnung mit den während des Zweiten Weltkrieges in der Nähe internierten Japanern beitragen. Die besonderen Attraktionen von Hope sind die zahlreichen Wandmalereien, Holzstatuen und die Naturkulissen solcher Filmerfolge wie „Rambo“ von 1982 mit Sylvester Stallone, „Mörderischer Vorsprung“ mit Tom Berenger und „K2 Das letzte Abenteuer“ mit Michael Biehn.
Ich ließ jedoch den Goldrausch vorerst Goldrausch sein und folgte dem Highway 5 nordostwärts in Richtung Merritt. Geschuldet seiner Lage zwischen den Coast und Rocky Mountains ist hier das zentrale Hochland ziemlich trocken, es fällt wenig Niederschlag und die Sommertemperaturen steigen oft auf über 40°C. Merritt, das 1893 als Forksdale gegründet wurde und mir nur als Durchfahrt diente, war eine jener unzähligen Siedlungen, deren Ursprünge in die frühen Siedlungsjahre der weißen Einwanderer reichen und am Zusammenlauf zweier Flüsse, in diesem Fall des Nicola Rivers und des Coldwater Rivers, liegen. Heute sind solche Ortschaften meist wichtiger Verkehrsknotenpunkt oder Geisterstädte. Ich schlug einen südöstlichen Haken Richtung Aspen Grove, schlängelte mich über den Okanagan Connector weiter ostwärts durch das Hochland und machte eine kurze Kaffeepause in Kelowna, die als größte Stadt am Lake Okanagan in der Mittagshitze vor sich hindöste. Zahlreiche Winerys preisen ihre Spezialitäten und locken Einheimische und Besucher; ist doch die Gegend, begünstigt durch das milde Klima, eines der größten Wein- und Obstanbaugebiete Kanadas. In dem schmalen, etwa 135 Kilometer langen Okanagan Lake soll der Legende nach das Seeungeheuer Ogopogo leben. Die Beschreibung von Ogopogo bedient jedes Klischee: ein zwischen drei und vierzehn Meter längliches Tier mit dunkelgrüner bis bräunlich-schwarzer Haut, mit einem schafsähnlichen Kopf und wallender Haarmähne, vereinzelt auch mit Höckern oder gespaltenem Schwanz. Letzterer vermutlicher tagesformabhängig. Die Okanagan Indianer opferten der Kreatur Hühner und andere Kleintiere, da der Wasserdämon mit seinem Schwanz Wellen schlagen und Boote zum Kentern bringen konnte. Tatsächlich gab es etliche Sichtungen und Kryptozoologen erklärten sich das Fabeltier als einen überlebenden Basilosaurus, einer ausgestorbenen Walgattung, die vor 41 bis 35 Millionen Jahren im späten Eozän lebten.
Obwohl die Straße parallel am See entlangführte, sichtete ich keinen Wasserdrachen. Der Highway 97 zog sich in Sichtweite der östlich gelegenen Okanagan Highlands nach Norden. Der British Columbia Highway 97 ist die längste durchgehende Fernstraße der Provinz. Es waren historische Strecken, die ich nutzen sollte und die untrennbar mit der Erschließung British Columbias in die Geschichte eingegangen waren. Im malerisch gelegenen Sicamous stieß ich wieder auf den Highway 1 und folgte den zahllosen Geländewagen, Trucks und Campmobilen westwärts in Richtung der Rocky Mountains. Der Highway 1 ist Teil des Trans-Canada-Highway-Systems und verbindet auf über 7.000 Kilometer die Ortschaften des kanadischen Westens mit dem Osten. Die transkontinentale Bundesstraße ist die drittlängste Straßenverbindung der Welt, die nur von der Transsibirischen Straße in Russland (über 10.000 Kilometer) und dem Highway 1 (etwa 13.600 Kilometer) in Australien überboten wird.
Eine halbe Autostunde hinter Revelstoke beginnt der Glacier-Nationalpark. Der Highway 1 schraubt sich, breit angelegt und flankiert von waldreichen, schneebedeckten Hängen, noch etwas mehr als zwanzig Kilometer bis zur Wasserscheide am Rogers Pass hinauf und führt dann zu den vielbesuchten Yoho und Banff National Park hinüber. Der in diesen mächtigen Touristenschatten gelegene Glacier N.P. indessen ist ein weniger gerühmtes Wanderparadies. 1886 gleichzeitig mit dem Yoho N.P. gegründet, zählt der Park als Ursprung des nordamerikanischen Sportkletterns und mit Schweizer Unterstützung wurden um die Jahrhundertwende Aussichtspunkte angelegt und Kletterunterricht angeboten.
Ich fuhr hinauf bis zum Rogers Pass, der aufgrund seiner Bedeutung beim Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn durch die Canadian Pacific Railway als National Historic Site of Canada geschützt ist, fand die alte Glacier Park Lodge geschlossen und schon arg ramponiert vor, übte mich in ergebnisloser Konversation mit den heimischen Murmeltieren und fuhr aufgrund meines knappen Zeitplans bald wieder nach Revelstoke zurück. Der Ort, früher Treffpunkt und Lager der Pelzhändler an der Mündung des Illecillewaet Rivers in den Columbia River, lag malerisch im nachmittäglichen Sonnenschein vor der Kulisse des mächtigen Selkirkgebirges. Ich machte es mir am Ufer des Columbia Rivers gemütlich, genoss Kaffee und Donut die ich schräg gegenüber vom Eisenbahnmuseum ergattert hatte und ließ den Columbia River ebenso vorbeifließen wie den Straßenverkehr und die endlosen Züge der Canadian Pacific Railway.
Nach Revelstoke hielt ich mich bis Kamloops wieder westwärts, querte wieder das im Regenschatten der Coast Mountains liegende Hochland und übernachtete in dem Nest Ashcroft. Ich bog in Cache Creek Richtung Norden und ließ, als ich einige Meilen weiter auf den Highway 99 abbog, das 70Mile House und die alten Goldfelder vom Cariboo County rechts liegen und fuhr flussabwärts wieder zurück in Richtung Vancouver. In Lillooet stieß ich wieder auf den Fraser. Die Siedlung war im Zuge des Goldrausches 1858 entstanden und soll während des Goldbooms 20.000 Einwohner gehabt haben. Noch heute erinnern einige Pionierbauten, der Hangingman Tree oder die 1981 eröffnete „Bridge of the 23 Camels“ an die glorreichen Jahre.
In Lytton stieß ich wieder auf den Highway 1 der sich parallel des Fraser durch die Berge quälte. Einige Jahre zuvor war ich bereits dieser Strecke, von Prince George kommend, gefolgt. Es war alles ziemlich beim alten geblieben. Die Gegend schien trockener denn und die Bewässerungen mehr denn je. In Yale existierte sogar noch das Motel, in welchem ich damals übernachtet hatte. Nur das Elvis Diner am Hells Gate war geschlossen. Wenige Tage später ließ ich British Columbia mit der HBC und seinen Pelzhandel, den Indianerkriegen, Goldfunden, Grizzlybären und Murmeltieren, Gletschern und unendlichen Wäldern, Totempfählen und Ford Mustangs zurück.
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