POLEN
WROCLAW / BRESLAU, SCHLESIEN UND SEINE ERBEN
Braliner Feldkirche

Die Kirche, die inmitten von Feldern eine Viertelstunde Gehweg von Bralin steht, wurde 1711 erbaut. Zwischen dem nördlichen und dem westlichen Arm befindet sich die Sakristei. Die Dächer sind mit Schindeln gedeckt. Die Malereien der Wände und der Decke stammen aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts und wurden nach dem Vorbild der Kupferstiche eines venezianischen Messbuchs aus dem Jahre 1638 angefertigt.

Presselandschaft

Polen verfügt über eine recihe Fülle an Tages- und Wochenzeitungen jedweder Ausrichtung. Die Gazeta Polska gehört zu den landesweiten politischen Wochenzeitungen.

"Es ist grundsätzlich anzunehmen, daß die Heimstätten des polnischen Staates und der polnischen Nation zwischen der sogenannten Curzon-Linie (also einschließlich Lemberg) und der Linie der Oder liegen und Ostpreußen wie definiert (d.h. ohne den nördlichen Teil mit Königsberg, den die Sowjetunion erhalten sollte) sowie Oppeln umschließen sollte; die endgültige Grenzziehung erfordert aber ein eingehendes Studium und möglicherweise an einigen Stellen einen Bevölkerungsaustausch.“ (Auszug aus der sogenannten Teheraner Formel von Winston Churchill im Dezember 1943)

Das kleine Nest Chojecin liegt heute in Polen, eine knappe Autostunde nordöstlich von Breslau, das heute Wroclaw heißt. Chojecin selbst hieß eine Zeitlang Heubach und verursachte mir viel Mühe bei seiner Lokalisierung. Doch die ständigen Namensänderungen, das Hin und Her der Ortsnamen, ist bezeichnend für die Zeit und das ständige Hin und Her der Gebietszugehörigkeiten und ihrer jeweiligen Verwaltungsbehörden, ob nun polnisch oder deutsch. Chojecin oder Kojentschin oder eben Heubach ist so wenig bekannt wie Zingst an der Unstrut, ist ebenso klein und liegt verloren im Nirgendwo der niederschlesischen Landschaft. Und doch liegen hier ebenso meine Wurzeln wie im tschechisch-böhmischen Egertal, für dessen deutsche Ursprünge ich vor einigen Jahren gegen meine Absicht stark vereinnahmt wurde. Doch diese Episode ist schon an anderer Stelle erzählt.

Heubach, so steht es in der Geburtsurkunde, war der Geburtsort meine Mutter, der Tanten und ihrer Vorfahren. Vermutlich gab es ein kleines Bauernhaus; mit einem kleinen Stall nebenan, zwei Kühen und Pferden, drei Schweinen und etlichen Hühnern. Die Familie war Selbstversorger wie alle anderen Verwandten und Nachbarn auf dem Lande auch. So war es mir zumindest bekannt, doch sicher ist das keinesfalls, denn die Flucht aus der deutschen Heimat im Winter 1945, die bald darauf polnisch werden sollte, meine Mutter war gerade drei Jahre alt, hinterließ keine Spuren und die Tanten und Cousinen hatten in den Jahren nach dem verlorenen Krieg andere Sorgen als sich mit der eigenen Herkunft zu beschäftigen. So bleiben Geburtshaus und Wurzeln wohl für immer verschüttet. Wir hatten über die Jahre mehr oder weniger Kontakt zu den Verwandten gehalten, die nach dem Krieg in Polen geblieben waren. Doch seit dem Tod der letzten Tante und den Wendejahren waren die Prioritäten verschoben und der letzte Besuch auch 30 Jahre her. Ich war über die Jahre unvoreingenommen geblieben, im sozialistischen Bruderstaat DDR sozialisiert und in einem Elternhaus aufgewachsen, in denen Toleranz und eigene Meinungsbildung immer wichtig waren. Als Flüchtlinge hatten meine Eltern selbst unter der Hartherzigkeit ihrer deutschen Landesgenossen zu leiden, mussten sich eine neue Heimat erkämpfen und blieben doch, im Osten Deutschlands gelandet, „Hitlers letzte Opfer“. Seit den Jahren des Mauerfalls und der Annäherung des Ostens an die europäische Wirtschaftszone ist besonders viel über die Beziehung zwischen Polen und Deutschen geschrieben worden, über die Gräueltaten und das Miteinander, über Flucht und Vertreibung.

Die Geschichte Polens ist hinlänglich bekannt. Die Entwicklung zur begehrten Großmacht im späten Mittelalter, der Sieg von Tannenberg 1410 gegen den Deutschen Ritterorden, der Niedergang im Kampf gegen Schweden und Russen und die Zerstückelung Polens im 18.Jahrhundert sind beschrieben, politisiert und verfilmt worden. Und nachdem sich Russisch-Polen, Österreichisch-Polen und Preußisch-Polen zwischen 1815 und 1914 zu modernen Flecken mit nationalistischer Prägung entwickelten, kam es nach dem Ersten Weltkrieg zur  Neugründung der Polnischen Republik, Bürgerkrieg, Mord und Vertreibungen. Später folgten noch mehr Krieg, noch mehr Morde und die ganz großen Vertreibungen. Das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen blieb nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Warschauer Getto, Auschwitz und Nemmersdorf angespannt. Noch in den 1970er Jahren warnte mein Großonkel meinen Vater vor dem Besuch der polnischen Hauptstadt. Sicherlich hat auch der historisch beschriebene Kniefall Willy Brandts am 7.Dezember 1970 in Warschau seinen wesentlichen Anteil am besseren Verhältnis. Immerhin waren die Beziehungen zwischen Polen und Westdeutschland mit seiner stabilen D-Mark offener als zwischen Polen und seinem Blockbruder DDR.

Die große Politik war für mich in meinen frühen Jahren nicht wichtig; meine polnischen Ansichten wurden durch Onkel Gustav und Richard geprägt. Meine Urgroßmutter Emma, die in der Heimat geblieben war, blieb selbst für meine Mutter weit entfernt und nebulös. Dem engen Kontakt zu Tante Olga und Onkel Eduard waren die Reisen nach Polen zu verdanken. Der Verlust der Heimat und die Vertreibungen waren in der DDR Tabu und meiner Generation nicht mehr wirklich präsent. Ich war zu jung um zu verstehen, warum die Tanten und Onkel in Polen auch deutsch sprachen. Allerdings hatte ich das gleiche Glück mit meinen Cousins und Cousinen nicht, die in der nächsten Generation nur noch polnisch fabulierten und sich auch mit meinem Deutsch nicht zurechtfanden. Vom gemeinsamen Cowboy- und Indianerspielen hielt uns das indessen nicht ab. Polen blieb für mich immer der große Abenteuerspielplatz in den Ferien. Der schwarze Fleck in Deutschlands Vergangenheit holte mich später jedoch immer wieder ein, wenn ich auf meinen Reisen in den USA oder Korea auf Krieg, Gestapo und Wirtschaftswunder angesprochen wurde.

Soviel zur Vorgeschichte. Im Sommer 2013 indessen suchte ich meine Wurzeln im ehemals polnisch-deutschen Grenzgebiet. Von Görlitz bis Breslau sind es etwa 160 Kilometer über die E40, die im französischen Calais am Ärmelkanal beginnt und im kasachischen Ridder nahe der Grenze zu China endet. Seit den Wendejahren wurde die Verbindung nach Schlesien kontinuierlich ausgebaut. Von Breslau benötigten wir eine knappe Autostunde bis Bralin. Der heute 6.000 Einwohner zählende Ort gehörte von 1818 bis 1920 zum schlesischen Landkreis Groß Wartenberg. Mit dem Ostteil des Landkreises wurde Bralin zum 10. Januar 1920 infolge des Versailler Vertrags vom Deutschen Reich an das wiedergegründete Polen abgetreten. Die Provinz Schlesien war bereits im Jahr zuvor aufgelöst und aus den Regierungsbezirken Breslau und Liegnitz die neue Provinz Niederschlesien gebildet worden. 1938 wurden die preußischen Provinzen Niederschlesien und Oberschlesien zur neuen Provinz Schlesien zusammengeschlossen. Hin und Her, Vor und Zurück. Im Oktober 1939, nach dem Ende des Polenfeldzuges, wurden Schlesien die nach dem Ersten Weltkrieg an Polen abgetretenen Gebiete Ostoberschlesiens wieder angeschlossen. Allerdings sollten die östlichen Teile der niederschlesischen Kreise wie Groß Wartenberg, die nach dem Ersten Weltkrieg an Polen abgetreten worden waren, beim neuen Reichsgau Wartheland verbleiben. Doch die Region sollte nicht zur Ruhe kommen, ganz im Gegenteil. Im Januar 1941 wurde die Provinz Schlesien wieder aufgelöst und aus den Bezirken Breslau und Liegnitz die Provinz Niederschlesien gebildet. Im Frühjahr 1945 wurde das Gebiet durch die Rote Armee besetzt und entsprechend den Abkommen von Teheran und Jalta ein Teil Polens.

Es ist schon schwierig genug, in diesen geschichtlichen Randfasern den Überblick zu behalten. Unmöglich war es, das Geburtshaus meiner Vorfahren zu finden. Wir begnügten uns damit, den Heimatort trotz des Namenwirrwarrs gefunden zu haben, ließen den Blick über die frisch gemähten Getreidefelder schweifen und verfolgten einige Schwalben, die über die Wiesen dahinjagten. An der Braliner Feldkirche, die einen Steinwurf von Heubach entfernt liegt, machten wir einen kurzen Halt. Meine Großmutter war zum Einkaufen ins nahe Bralin gelaufen, ein Auto gab es früher nicht, und zur Messe wahrscheinlich mit den Nachbarn in die Kirche, dessen Eingang für uns verschlossen blieb. Ich erinnere mich noch dunkel an eine liebevolle Frau, die sich mit meinem Großvater in der schlesischen Muttersprache unterhielt. Die auch als Wasserpolnisch beschriebene Sprache blieb für mich als Kind lange Jahre geheimnisumwittert. Sie sprachen über die alte Heimat, die sie verlassen mussten, über die Einkäufe in der Kreisstadt Kempen, über Ostrowo als wichtiger Eisenbahnknoten und Kreishauptstadt in der Woiwodschaft Posen und über das 90 Kilometer südlich gelegene Oppeln.

Wir übernachteten in Kempen, gönnten uns ein kühler Bier am Marktplatz und hofften am nächsten Tag Cousine Gertrud anzutreffen. Wir hatten Glück, fanden das kleine Bauernhaus an der Landstraße nach Ostrowo und Gertrud ebenso verblüfft wie sprachlos. 30 Jahre sind doch eine lange Zeit. In den Jahren hatte sich viel verändert und die alte Dame inzwischen ihre deutsche Muttersprache gänzlich gegen die polnische getauscht. So blieben das Erkennen und die Kommunikation anfangs auf Zeichensprache und Bilder beschränkt. Erst die Tochter, die  etwas deutsch und englisch sprach, brach die Sprachbarrieren. Auf dem Rückweg besuchten wir das alte Schloss in Swinary / Weidenhof. Hier lebte Onkel Eduard und wir hatten 1979 wunderbare Ferien verbracht, Fasane gejagt und Elche beobachtet. Das ehrwürdige Gemäuer war indessen zur Ruine verkommen und die letzten Bewohner vor Jahren ausgezogen. Für das ehrwürdige Breslau, das Adolf Hitler 1944 zur Festung erklärte und durch die Gefechte im Januar 1945 65–80 Prozent aller Gebäude, davon 400 Baudenkmäler, verlor, fanden wir leider zu wenig Zeit. Doch die nächste Reise nach Polen ist auch eine weitere Erzählung wert.

Dreifaltigkeitssäule vor der Stiftskirche zum Heiligen Kreuz und St. Bartholomäus

Die Kollegiatstiftskirche aus dem 13.Jahrhundert ist der zweitgrößte Sakrakbau auf der Breslauer Dominsel.

Zamek na Ostrowie Tumskim

Die ehemalige Burg auf der Dominsel diente zum Schutz der Kirchgebäude.

Feldkirche Bralin

Schlesien zeichnete sich über die Jahrhunderte durch seine ethnische und relogiöse Vielfalt aus. Noch heute weisen katholische und evangelische Kirchen auf die Gemeinsamkeiten hin.

Bralin

Das kleine Dorf in der niederschlesischen Ebene liegt an der Europastraße 67. die heute Prag mit Helsinki verbindet.

Skulptur in Sycow

Das ehemalige Groß Wartenberg überstand den Krieg ziemlich unbeschadet.