OSTFRIESLAND
HINTER DEN DEICHEN, SCHAFE, KLÜNTJE UND VW
Zwillingsmühlen von Greetsiel

Die Zwillingsmühlen von Greetsiel sind das Wahrzeichen des bekannten ostfriesischen Fischerortes. Die zwei Holländerwindmühlen stammen aus dem Jahr 1856 und 1706. Die rote, östliche Mühle ist die ältere und kann heute besichtigt werden. Schon 1613 stand an der Stelle der heute grünen, westlichen Mühle eine Bockwindmühle. Diese wurde 1662 bei einem Sturm so schwer beschädigt, dass sie abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde. Der Grimersumer Gutsbesitzer Bussen ließ diese Mühle ab 1856 zu einem zweistöckigen Galerieholländer, der damals modernsten Entwicklung der klassischen Windmühle, umbauen. 1857 nahm sie den Betrieb auf und wurde bis 1964 gewerblich und bis 1972 zum Eigenbe­darf genutzt. Im Herbst 1972 stellte sie ihren Betrieb nach einem durch Sturm verur­sachten Flügelbruch gänzlich ein. Die rote Windmühle befindet sich heute in Privatbesitz und wird für die Herstellung von Schrot und Mehl für den Landwarenhandel genutzt. Im Erdgeschoss der Mühle befindet sich ein Mühlenladen, in dem regionale Produkte verkauft werden.

Ostfriesische Spezialität

Nicht nur Otto und Klüntje habe ihre Heimat in der nordöstlichen Ecke Deutschlands, sondern auch Polizeifahrzeuge aus dem Hause Volkswagen. Im VW Werk Emden, seit 1964 Produktionsstandort und mit dem nahen Emder Hafen das Tor zur Welt, wird seit 1974 der Passat gebaut. Mit friesischer Gründlichkeit werden manche dieser Fahrzeuge zu Sonder- und Streifenwagen umgerüstet.

Ostfriesland. Im hohen Norden Deutschlands leben wenige Menschen zwischen Kühen und Windmühlen, Deichen und in Abhängigkeit von Ebbe und Flut. Das Land ist geprägt durch seine raue Landschaft, Regen, der einem alten Ostfriesenwitz nur an zwei Tagen im Jahr fällt und, selbstverständlich, durch die weltbekannten Ostfriesenwitze. Das Land ist so platt wie die Sprache seiner Einwohner sein kann. Klüntje und schwarzer Tee sind hier so verbreitet wie Möwen und Robben und alles sowieso geprägt von Vorurteilen.

Mein erster Kontakt mit den Ostfriesen lag schon viele Jahre zurück. Ich hatte dienstlich in Emden zu tun und war von einigen Südniedersachsen vor dem Eigensinn der Küstenbewohner gewarnt worden. So sehr wie sich manche Vorurteile bestätigen sollten, so sehr fand ich die Ostfriesen sympathisch. Ich mochte ihre anfangs etwas verschlossene, aber ehrliche Art und fühlte mich später immer wieder geadelt, als ich auf Tee und Gebäck, auf offene Gespräche und nach Hause eingeladen wurde. Ich lernte Stefan und Richard kennen, die geradlinige, wenn auch oft brummelnde Art von Jan-Werner und die herzerfrischende, immer hilfsbereite Claudia schätzen. Sie alle brachten mir das Land hoch oben im Norden nahe und auch wenn Emden und die Gegend um Greetsiel für mich das Ende der Welt und nicht das Tor hinaus bedeuteten, so kam ich jedes Mal gern zurück. Selbst in schwierigen Situationen und gebeutelt von Sorgen und Nöten halfen mir „meine Friesen“ weiter. Ich war weit davon entfernt, Ostfriesenwitze zum Besten zu geben und doch fanden sich die Bewohner jenes Landstriches selbst unheimlich köstlich. Wir stritten uns oft mit Hinderikus, tranken manchen Moorgeist und wer zum Schluss noch „Moin, Moin“ sagte, galt als Schwätzer. Nur wenn sich die Friesen in meiner Anwesenheit „platt“ unterhielten, fühlte ich mich ausgeschlossen. Doch war das eher die Seltenheit und nicht als Ausschluss gedacht.

Nach der Wende hatten die Ostfriesen den Staffelstab des „Ossi“ an ihre Mitbürger östlich der deutschen Nord-Süd-Tangente abgegeben und als ich in der niedersächsischen Tiefebene als „Ossi“ bezeichnet wurde, meinte man wahrscheinlich doch den Ostfriesen in mir. Wenn ich längerer Zeit in Emden blieb, schlief ich meistens im Parkhotel „Upsdalsboom“. Der Service im besten Hotel der Stadt war recht trefflich, aber die Preise astronomisch hoch. In den folgenden Jahren überprüfte ich die Qualität vom „Goldenen Adler“, „Faldernpoort“ und „Großen Kurfürst“. Alle waren recht angenehm und das Frühstücksbüfett für Hotelverhältnisse jedes mal gut und ausreichend. Meine fangfrischen Matjes holte ich mir regelmäßig beim 1895 gegründeten Fischhandel Fokken und Müller am Emder Eisenbahndock 11.

Emden entstand als friesischer Handelsort um das Jahr 800 und ist bis zum heutigen Tage wesentlich durch seinen Seehafen geprägt, der im vergangenen Jahrhundert die Basis für die Ansiedlung größerer Industriebetriebe wie den Nordseewerken und dem Volkswagenwerk war. Eines der letzten Großereignisse vor der Schließung der Nordseewerke war die Überholung des Kreuzfahrtschiffes AIDA im Frühjahr 2007. Das zu den größeren deutschen Marinewerften gehörende Unternehmen, baute in erster Linie Marine- und Sonderschiffe und war ein Tochterunternehmen des ThyssenKrupp-Konzerns. Im Oktober 2009 übernahm die Schaaf Industrie AG die Werft, die künftig Bauteile für Offshore-Windenergieanlagen fertigt. Am 11. Dezember 2009 wurde das letzte gebaute Schiff der Nordseewerke, der 228 Meter lange Containerfrachter „Frisia Cottbus", vom Stapel gelassen. 

Ostfriesen 1 „Warum nehmen Ostfriesen einen Stein und eine Schachtel Streichhölzer mit ins Bett? Mit dem Stein werfen sie das Licht aus, und mit den Streichhölzern sehen sie nach, ob sie auch wirklich getroffen haben.“  

2008 verbrachten Katrin und ich unsere Weihnachten in Greetsiel. Der kleine Fischerort in Krummhörn hatte sich zur Touristenhochburg entwickelt und zeitgleich seinen trauten Charme bewahren können. Eng schmiegten sich die windschiefen Fischerhäuser aneinander und duckten sich hinter den Deichen vor dem steten Westwind. Der friesische Siel ist, als verschließbarer Gewässerdurchlass in einem Deich, Teil eines Entwässerungssystems des dahinter liegenden Binnenlandes. Wie in Greetsiel verweisen noch andere Ortsnamen auf die dortigen Anlagen. Auch wenn die meisten Krabbenkutter vor Anker lagen, kamen doch immer wieder vereinzelte Fischer vom frühen Fang zurück, löschten ihren Fang und ordneten die weit ausladenden Netze. Wir wärmten uns am Hafenkontor mit einem kräftigen Grog auf und versuchten auf den Deichen die Schafe und Möwen zu zählen.

Trotz der anhaltenden Kälte war das Wetter ausgesprochen angenehm. Die Sonne schien über das vereiste Watt und der Wind blies nur mäßig. Da es nach einer alten ostfriesischen Wahrheit nur an drei Tagen im Jahr regnen sollte, schienen diese nicht auf die Wintermonate zu fallen. Statistisch gesehen fallen in Ostfriesland jedoch im Laufe des Jahres rund 800 Millimeter Niederschlag und somit 100 Millimeter mehr als im deutschen Durchschnitt. Der meiste Niederschlag fällt im Landesinneren in den Sommermonaten, vor allem im Juni und Juli. Auf den Inseln sind dagegen die Herbstmonate die niederschlagsreichsten. Auch der ostfriesische Wind als solcher liegt naturgemäß über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Doch ist sie wiederum einiges sauberer und klarer als in den südlicher gelegenen Teilen der Republik.

Doch so sehr uns das Ostfriesische Weihnachtswetter hold blieb, so sehr hatten wir mit unserer Unterkunft Pech. Ein verwinkeltes Zimmer, kleine und durchhängende Betten verleideten uns die erste Nacht. Glücklicherweise fanden wir einige Häuser weiter eine passende Alternative. In den folgenden Tagen erkundeten wir den Emder Weihnachtsmarkt, die Deiche und Norderney.

Wir fuhren nach Suurhusen, um die schiefe Kirche zu besichtigen. Diese erinnert an die alten Festungskirchen früherer Zeiten. Sie wurde bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erbaut. Der 27,37 Meter hohe Turm mit seiner Neigung von 5,1939° gilt heute als schiefster Turm der Welt und bricht damit den vom schiefen Turm von Pisa gehaltenen Rekord mit einer Neigung von 5,08°. Der Suurhusener Turm ist auf Eichenstämmen erbaut, die nach einer Grundwasserabsenkung verfault sind, weil dadurch Luft an das Holz gelangte.

In der „Alten Brauerei“ von Pilsum ergatterten wir an einem Abend einen Tisch und ließen uns neben einem kräftigen Bier auf die winterliche ostfriesische Küche mit Grünkohl, bevorzugt mit Pinkel, Kochwurst, Kassler und Speck ein.  Das Kohlessen ist oft Bestandteil einer Bosseltour, welche ihr Tradition jedoch bis ins südlich gelegene Braunschweig übertragen hat. Wir verzichteten auf das Bosseln und machten uns einen gemütlichen Abend in der urigen Kneipe. 

Ostfriesen 2 „Was machen die Ostfriesen bei Ebbe? – Sie verkaufen Bauland an die Österreicher.“ 

Vom römischen Historiker Tacitus wurden die antiken Friesen der Gruppe der Ingaevones zugeordnet, zu denen noch die Chauken und Sachsen gezählt wurden. In seinen Annalen berichtete er über das Jahr 28: „Im selben Jahr brachen die Friesen, ein Volk jenseits des Rheins, den Frieden, mehr infolge unserer Habsucht als aus Trotz gegen unsere Herrschaft. Drusus hatte ihnen in Rücksicht auf ihre dürftigen Verhältnisse einen mäßigen Tribut auferlegt: Sie sollten für Heerzwecke Rinderhäute liefern. ... Die Bedingung, die auch andere Völker nur schwer hätten erfüllen können, war um so drückender für die Friesen; denn wenn auch ihre Wälder reich an mächtigen Ungetümen sind, sind ihre zahmen Rinder jedoch klein. So lieferten die Friesen am Anfang ihre Rinder; dann mussten sie auch ihre Frauen und Kinder oder beides an Tribut leisten. … Die römischen Soldaten, die zur Erhebung des Tributes nach Friesland kamen, wurden daher von den Friesen angegriffen und ans Kreuz geschlagen.“

Die ersten Dörfer wurden zu einer Zeit, als das Land noch nicht mit Deichen vor dem Meer geschützt war, auf Warften angelegt. Sie nutzten die fruchtbaren Kleiböden und hatten über weit ins Landesinnere reichende Priele zugleich Zugang zum Meer. Die meisten der Warften wurden in der Völkerwanderungszeit aufgegeben. Ab dem 8. Jahrhundert fand eine Wiederbesiedelung der Region durch friesische Einwanderer statt. In dieser Zeit entstanden erstmals reine Handelssiedlungen auf Langwarften, sogenannte Wiksiedlungen, wie in Grimersum, Groothusen und Emden. Während Emden sich aufgrund seiner Lage zu einer Hafenstadt entwickeln konnte, verloren Grimersum und Groothusen ihre Bedeutung als Handelsorte nach dem Deichbau, der um das Jahr 1000 einsetzte. Erst mit dem Deichbau wurde eine Besiedelung außerhalb der Warften möglich.

Der fruchtbare Marschboden bildete die Grundlage für den großen Wohlstand der Bauernschaft bereits seit dem ausgehenden Mittelalter. Vom 13. bis 14. Jahrhundert entstanden in fast allen Orten Häuptlingsburgen der reichsten Familien aus dem Bauernstand, deren Besitzer schon bald die Seeeräuberei der Vitalienbrüder unterstützten, bis eine Strafexpedition der Hanse, die mit der Zerstörung zahlreicher Burgen einherging, diesem Unwesen ein Ende setzte. Größere Eindeichungen wurden im 14./15. Jahrhundert und noch einmal 1603 vorgenommen. Im 17. und 18. Jahrhundert war die Gegend mehrfach Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen. Im Jahr 1623 besetzten Truppen des protestantischen Heerführers Ernst von Mansfeld das Land, ihnen folgten 1637 die Hessen, die bis 1651 blieben. Auch während des Appell-Krieges fanden 1727 Auseinandersetzungen in der Krummhörn statt.

Im Jahr 1744 fiel Ostfriesland an das Königreich Preußen und 62 Jahre später an das Königreich Holland. Die 1805 verhängte Kontinentalsperre traf den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, die nach England ausgeführt wurden, empfindlich. 1810 wurde der Landstrich Frankreich angegliedert, kam nach der Niederlage Napoleons kurzzeitig wieder zu Preußen, wurde im Wiener Kongress dann aber dem Königreich Hannover zugeschlagen. Als Preußen im Deutschen Krieg das Königreich Hannover annektierte, fiel Ostfriesland wieder an Preußen. Die Jahrhunderte währende Geschichte der Eindeichungen an der Küste der Krummhörn fand 1991 ihren bisherigen Abschluss. 

Ostfriesen 3 „Die Ostfriesen und die Bayern spielen Fußball. Da fährt ein Zug in der Nähe vorbei und pfeift. Die Ostfriesen denken, das Spiel ist zu Ende, und gehen nach Hause. (Pause) Eine halbe Stunde später fällt das erste Tor für die Bayern.“ (aus dem Bühnenprogramm von Otto Waalkes) 

Unser Ausflug zur Insel Norderney wurde von herrlichem, kühlen Winterwetter begleitet. Von Norddeich legt die Fähre im knappen Zweistunden-Rhythmus ab. Einzelne Krabbenkutter, von zahllosen Möwen umschwärmt, waren auf Fang zwischen den Ostfriesischen Inseln unterwegs. Auf den Inselnahen Sandbänken sonnten sich einige Kegelroben im fahlen Sonnenlicht. Die frische Nordseeluft glich die fehlende Sommerwärme aus; es gibt nicht vieles, was gesünder wäre und den Appetit mehr anregend würde, als ein Nordseespaziergang. Doch bin ich auch selbst dem steten ostfriesischen Wind nicht vorbehaltlos aufgeschlossen. Wir suchten einige Muscheln, Steine und später eine gemütliche Pinte auf, in der wir uns vom Nordwind bei einem dampfenden Kaffee wieder aufwärmten. In den breit angelegten Touristenstrassen von Norderney fehlten wie am Strand die sommerlichen Touristenschwärme und machten den Aufenthalt angenehm. Der Fremdenverkehr, Hauptwirtschaftszweig des am 3. Oktober 1797 zur ersten Königlich-Preußischen Seebadeanstalt an der deutschen Nordseeküste ernannten heutigen Staatsbades und Luftkurortes, überschritt in den Jahren 2008 und 2009 drei Millionen Übernachtungen (Norderneyer Morgen, 23.01.2010)

Emder Hafentor

Das Hafentor wurde 1635 vom Emder Stadtbaumeister Martin Faber erbaut. Es ist das einzig übergebliebene von mehreren bedeutenden Stadttoren, die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts errichtet wurden. Auf dem Torbogen steht „Et pons est Embdae et portus et aura deus“ („Gott ist für Emden Brücke, Hafen und Segelwind“).

Dat Otto Huus Emden

1986 eröffnet, zeigt das Otto-Huus den Werdegang des in Emden geborenen Komikers Otto Waalkes. Auch wenn man Ottowitze mag, so kommen Ausstellung und der kleine Verkaufsshop nur hartgesottenen Fans entgegen.

Norderney

Der höchste natürliche Punkt ist eine Düne auf Norderney, die 24,4 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Im Wattenmeer sind Seehunde und Kegelrobbe zu beobachten.

Unter den Preussen

Im Jahr 1744 fiel Ostfriesland durch eine Exspektanz an das Königreich Preußen. Der preußische Staat förderte in den folgenden Jahrzehnten den Landesausbau Ostfrieslands, besonders durch Moorkolonisierung und Eindeichungen. Heute kündet die  Statue von König Friedrich II. von Preussen, Fürst von Ostfriesland 1744 – 1786, an der Emder Knock vom preußischen Ostfriesland.

Pilsumer Leuchtturm

Der mit 13 Metern niedrigste Leuchtturm an der deutschen Nordseeküste wurde vor allem durch den Film „Otto – Der Außerfriesische“ bekannt und gilt mittlerweile als eines der Markenzeichen Ostfrieslands.