MÜRITZ
IM KANADIER AUF STILLEN KANÄLEN
Mecklenburger Seenplatte

Die Mecklenburgische Seenplatte ist das größte zusammenhängende Seengebiet Mitteleuropas. Mit der Müritz liegt der größte deutsche Binnensee inmitten dieses Wasserparadieses. Große Teile der Region nimmt der Müritz-Nationalpark ein. Fisch- und Seeadler, Schwarzstorch, Eisvogel und Fischreiher sind hier heimisch. Tausende von Kranichen und Wildgänsen rasten auf ihrem Zug auf den weiten Flächen. Die Mecklenburgische Seenplatte liegt im zentralen und südlichen Teil des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Die Seenplatte lässt sich in das Mecklenburgische Großseengebiet, das Neustrelitzer Kleinseengebiet sowie die Feldberger Seenlandschaft unterteilen. 

Bereits um 10.000 v. Chr. Siedelten hier Jägern und Fischern. Im 4. und 5. Jahrhundert wanderten die dort siedelnden germanischen Stämme nach Süden und wurden ab dem 7. Jahrhundert durch nachrückende elbslawische Stämme ersetzt, die sich mit der zurückgebliebenen Restbevölkerung vermischten. Im Mittelalter nahm der Einfluss deutscher Siedler in der Region wieder zu.
Spezialität Müritz

Im Osten geht die Sonne auf - und auch unter. So kitschig, so schön. Auch wenn Sonnenuntergänge an anderen Orten schön sein können, so haben sich doch in den Jahren seit der Wende 1989 die Mecklenburger Seen zu einem ebenso schönen wie teuren Touristenmekka etabliert.

August. Wir hatten die ersten Ruderschläge hinter uns gebracht, die Müritz während eines herzhaften Sommergewitters überquert und inzwischen unser Zelt aufgeschlagen. Am Mittag hatten wir den Bootsverleih bei Eldenburg erreicht. Wir schulterten unsere Rucksäcke und grüßten die junge Dame hinter dem Tresen, die uns verdutzt fragte, wo wir denn unser restliches Gepäck hätten. Aber augenscheinlich hatten wir zuviel von James F. Cooper gelesen und Marco gab nur zur Antwort, dass wir für die vier Tage Müritzausflug alles dabei hätten. Wir waren Indianer, Profis und Trapper zugleich! Nachdem wir unseren Kanadier ins trübe Müritzwasser gestoßen hatten und die kleine Bootshütte des Verleihs außer Sichtweite lag, schlugen wir einen weiten Bogen und ruderten einige hundert Meter oberhalb wieder ans Ufer. Hier hatten wir unser Auto geparkt und den Rest unserer Ausrüstung. Wir sollten noch in den folgenden Monaten unseren genialen Indianerstreich belachen.

Der Himmel hatte sich indessen eingetrübt und wir mussten unsere Regensachen herausholen. Wir steuerten auf die Müritz hinaus und südlich auf Rechlin zu. Das gemeinsame Rudern hielt uns in Atem, nicht nur des uns von backbord entgegenwehenden Windes und der aufkommenden Wellen wegen. Wir mussten uns beim Paddeln zusammenraufen; Teamwork war angesagt. Marco hatte, im Bug sitzend, das Tempo anzugeben; ich hingegen die Richtung zu halten. Die Abstimmung zwischen uns sollte einige Zeit in Anspruch nehmen und ihre Feuertaufe mit dem einsetzenden Gewitter erhalten. Aus heutiger Sicht würde ich jeder aufzuarbeitenden antiautoritären Erziehungsweise und allen angehenden Ingenieuren und Managern der Wirtschaft monatelange Ruderkurse empfehlen. Das prägt das Mannschaftsgefühl und verhindert Selbstbewusstsein nahe der Arroganz.

Die Wellen schlugen immer höher und der einsetzende Regen verbarg für den ersten Moment das aufziehende Sommergewitter. Als die ersten Blitze über den Himmel zuckten und Donner über die Mecklenburgische Seenplatte grollte, stachen wir mit allen Kräften unsere Paddel in den aufgewühlten See und versuchten in Ufernähe zu kommen. Es wurde kein leichtes Manöver gegen die Wellen zu paddeln und auch die Kommunikation geriet ins Stocken. Endlich, eine Ewigkeit später kamen wir in Ufernähe; hohe Bäume wuchsen in den dunklen Himmel und wir steuerten unseren Kanadier zwischen zwei hohen Buchen ans Ufer. Die Sachen wurden klamm und feucht und wir bekamen Sorge, dass sie nicht mehr trocknen würden; doch erging es Lewis und Clark anders? Meine Uhr fiel aus und wir schienen uns wohl oder übel nach den Sternen, Hähnen oder wem auch immer orientieren zu müssen. Wie entspannend Paddeln ohne Zeitmesser sein konnte, war mir im ersten Moment nicht bewusst.

Ein einfaches Frühstück bei Instantkaffee, Knäckebrot, Käse und einen deftigen Bratwurst lies uns in den Morgen starten. Der liebe Gott meinte es gut mit uns und schenkte uns herrlich trockenden Sonnenschein. Bei Vietzen steuerten wir in die Müritz-Havel-Wasserstrasse ein. Etliche Motorboote und Segeljachten kamen uns entgegen, überholten uns oder kreuzten auch manchmal nur unseren Weg. Auf halber Strecke, kurz vor Mirow musste es nach unserer Karte sein, legten wir an und genossen bei einem warmen Kaffee und Tütensuppe Stille und warme Sommersonne. Am späten Nachmittag erreichten wir die Schleuse in Mirow und paddelten nördlich über die Ganzower Möschen. Es war herrlich. Kein Gewitter, kein donnerndes Brüllen, keine Zeit. Bleßrallen, Haubentaucher, Schwäne und Stockenten begleiteten uns bis Granzow. Im kristallklaren Wasser spiegelten sich Ufer, Schilf und Bäume wider. Der Sonnenuntergang war ebenso kitschig wie unbeschreiblich schön, blutrot und warm. Wir nahmen den Zeltplatz C/20 in Anspruch ebenso wie die Duschen, brieten uns einige Spiegeleier und begossen den herrlichen Abend gemeinsam mit einigen vielen Mücken bei einem Bier.

Der Tag fing wieder bewölkt an; Petrus hatte wahrscheinlich einen Gleittag genommen. Es ging immer weiter nordwärts durch stille und sanfte Natur. Einige Bootshäuser am Ufer verrieten uns, dass wir nicht in wilder Einsamkeit verloren waren. Die Bäume neigten sich weit über das Wasser, spendeten Schatten und drückten das wenige Sonnenlicht wieder in diffuses Dunkel. Wir passierten einen See nach dem anderen, paddelten vom Kotzower See über die Mössel in den Leppinsee. Von dort über einen Stichkanal in den Woterfitzsee und über dessen westliche Seite in den Caarpsee. Hier steckten wir erst einmal fest. Kamen nicht weiter voran. Etliche tote Fische schwammen an der Wasseroberfläche und ließen uns fürs erste auf unser Mittag verzichten. Unsere kleine Mannschaftsfindung befand sich wieder auf einem Stimmungstief.

Endlich fanden wir den Weg. Wir mussten unseren Kanadier einige hundert Meter umtragen. Bei der Schwere unseres Gepäcks – Chingachgook lies grüßen – eine wahre Herausforderung und schweißtreibende Arbeit. Nach einigen Paddelschlägen lag uns die Müritz an ihrem südöstlichen Ende wieder vor dem Bug unseres Kanadiers. Wir wendeten uns nördlich und hatten gegen steten Steuerbordwind zu kämpfen. Auch die Sandbänke am Ostufer machten uns zu schaffen. Später holte ich, dem starken Wellengang geschuldet, eine heftige Handvoll Wasser ins Boot. Eine Aufgabe, die Marco bisher im Bug zugestanden hatte. Was für unsere Muskeln als Anstrengung galt, war für die vielen Segler und Surfer auf der Müritz Voraussetzung. Unsere Mühen gegen den Wind und ständiges Kentern hielten den Rest des Tages an. Die Quadratur des Kreises interessierte uns weniger als die Strömungsgeschwindigkeit unserer Paddel im aufgewühlten Müritzwasser. Glücklicherweise brauchte ich heute Marco nicht kielholen, da er meinen Kaffee seines Geschmacks wegen lobte, der noch nicht einmal mir schmeckte. Am Zeltplatz Ecktannen bauten wir unser Zelt auf und hatten auch dabei gegen den ständigen Wind zu halten. Ein kräftiger Grog, einige Tomaten, Käse und Brot beschlossen unsere Anstrengungen und den Tag, ebenso wie unsere Kanutour. Am nächsten Morgen querten wir die Müritz westwärts, übergaben unser Boot und ließen Mecklenburg mit angenehmen Erinnerungen zurück.
Schleuse Mirow

Das Wassernetz um die Müritz ist nicht nur für Kanadier und Kanuten ausgebaut. Doch abseits der große Wasserwege ist nur mit einem schmalen Boote voranzukommen. An manchem Stellen muss das Boot auch umgetragen werden.

Endlose Weiten

Wir waren Indianer und Trapper zugleich. entweder hatten wir zuwenig oder zu viel James F. Cooper gelesen. Zumindest die Weite der Müritz beeindruckte uns während unserer ersten Paddelschläge.

Müritz-Havel-Wasserstrasse

Einige Segler und Motorboote kamen uns entgegen. Auf halber Strecke nach Mirow legten wir an und bereiteten uns eine rustikale Mahlzeit.