STREETS OF LONDON
ARCHITEKTURVERBRECHEN UND MÜDE FÜSSE, GLOBE UND ABBEY ROAD
House of Parliament

Die aus dem Jahr 1097 bestehende Westminster Hall sowie der Jewel Tower, der um etwa 1365 erbaut wurde, zählen heute zu den ältesten Teilen des Palastes. Ursprünglich als Residenz der englischen Könige, wurde die Anlage am 16. Oktober 1834 bei einem verheerenden Großbrand fast vollständig zerstört. Der wohl bekannteste Teil ist der seit 2012 offiziell Elizabeth Tower genannte Uhrenturm mit der Glocke Big Ben. Das Richard Löwenherz Denkmal erinnert heute an den mysthischen König, dessen Leichnam selbst ist im Kloster Fontevrault, zusammen mit den Gräbern seiner Eltern Heinrich II. und Eleonore von Aquitanien, beigesetzt ist.

Presselandschaft

Die britische Presselandschaft gilt als ebenso hemmungslos wie polarisierend und reicht von Boulevardblättern bis zu den sogenannten "Boradsheet"-Zeitungen mit hoher Qualität. Der Guardian zählt zu den Qualitätszeitungen, die links der Mitte stehen.

"Have you seen the old man, in the closed down market, picking up the papers, with his worn out shoes, in his eyes you see no pride, and hanging loosely at his side, yesterdays paper, telling yesterdays news"*

Etwas mehr als vierzig Jahre nach Ralph Mc Tells Hit, drei Jahre nach dem Absturz der mächtigen Hypothekenbank HBOS und der folgenden Krise, fädelten wir uns in den Londoner Underground ein, folgten den Strömen der Studenten, Touristen, Angestellten und Bänker und stießen mit der Tube, wie die Londoner ihre U-Bahn nennen, ins Zentrum der Finanzwelt vor. Die 1694 gegründete Bank of England hob sich als steinerne Institution gegen den blauen Londoner Himmel. Die Risse und zahllosen Kündigungen der frisch überstandenene Finanz- und Wirtschaftskrise waren nicht mehr offensichtlich; London fieberte den Sommerspielen entgegen und der Immobilien-Irrsinn stand immer noch in seinen Anfängen.

Londinium, das ehemalige römische Heerlager an der Themse, hatte sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder verändert, die Pest überstanden, Feuersbrünste und den deutschen „Blitz“, den Terror der IRA, Margaret Thatcher und dabei einen eigenen Charakter entwickelt. Vom Monument, der mit 61 Meter höchsten freistehenden Säule der Welt, die an den großen Brand von 1666 erinnern soll, leuchtete uns vom gegenüberliegenden Themseufer das zweithöchste Gebäude Europas „The Shark“ entgegen. Während der 180 Metern hohe Swiss-Re-Tower der Architekten Shuttleworth und Foster, der von den Londonern nur "Gherkin-Gurke" genannt wird, sich mit den anderen Neubauten der City die Skyline teilte, verlor sich die St. Margaret Pattens Church of England endgültig im Architekturgewirr.

Das „Laboratorium der Moderne“, wie der Historiker Frank Otto London nannte, droht im Wettstreit der Architekten im 2. Jahrtausend seine Seele zu verlieren. Während sich die britische Lady unter den Metropolen viele Jahre nicht vom panischen Wolkenkratzerhype schrecken ließ und im Gegensatz zu Hongkong oder New York nur wenige Gebäude in der Innenstadt höher als sieben Stockwerke blieben, scheint sich London heute im Höhenrausch zu befinden. Über 200 neue Hochhäuser befinden sich in Bau oder Planung, fast 50 davon 160 Meter oder höher. Die Skyline wird sich verändern wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Die häufig hässlich und einfallslos geplanten Architekturverbrechen heizen die Diskussion an der Themse auf. Nicht zuletzt, weil die Immobilien zu einem beträchtlichen Teil aus Luxuswohnungen bestehen, in die reiche Russen, Chinesen oder arabische Ölmillionäre investieren und die Weltstadt zur Heimat der Superreichen mutiert.

Wir folgten der Lower Thames Street in östlicher Richtung bis zum Tower, über den bereits so viel geschrieben wurde, dass dies an dieser Stelle nicht wiederholt werden muss. Allein im Graben vor der alten Feste, deren moderner und frischer Rasen auf englische Weise zurechtgestutzt wurde, sollten zwei Jahre später 888.246 blutrote Keramik-Mohnblumen an die gefallenen britischen Soldaten des 1.Weltkrieges erinnern. Die Tower Bridge, deren 1894 fertiggestellte Konstruktion noch im Guy Ritchie Blockbuster „Sherlock Holmes“ als Baustelle zu sehen war, trotzte tapfer dem stetig steigenden Verkehrschaos. Am südlichen Themseufer gelegenen Queens Walk warteten einige hippe Kaffees auf Angestellte, Bauarbeiter und Touristen. Ich musste an Karl Marx und seine kapitalistischen Analysen im Epizentrum der industriellen Revolution denken. Bekanntermaßen beriefen sich in den Folgejahren zahllose politische Umwälzungen auf die Prognosen des gescheiterten Revolutionärs. „Mohr und die Raben von London“ war zu DDR-Zeiten Pflichtlektüre im Deutschunterricht.

Der Queens Walk endete abrupt an der London Bridge und wechselte am 1997 wieder eröffneten Shakespeare Globe Theatre in den Riverside Walk. Im Globe, 1599 von „The Lord Chamberlain’s Men“, denen auch William Shakespeare angehörte, gegründet, wurden neben anderen Bühnenspielen alle Stücke von Shakespeare aufgeführt. Die Stücke, mit viel Prunk, prächtigen Kostümen und dem Geschmack des Zeitalters entsprechend ohne große Kulissen aufgeführt, ließen das Globe zum erfolgreichsten Theater seiner Zeit werden. 40 Jahre später tobte auf dem Kontinent immer noch der Dreißigjährige Krieg und die Engländer wurden puritanisch, alle Vergnügungsstätten geschlossen und das Globe 1644 abgerissen. Der Standort verschwand bis in die Neuzeit aus dem Londoner Gedächtnis und erst 1989 wurden bei Bauarbeiten Reste des Fundaments entdeckt. Seit seiner Wiedereröffnung werden jeden Sommer im rekonstruierten Globe, das etwa 230 Meter von seinem ursprünglichen Standort entfernt steht, mehrere Stücke Shakespeares aufgeführt. Wir gönnten uns ein Pint im Swan at Shakespeare's Globe und unseren müden Füßen eine kurze Rast. Das Londoner Straßenpflaster war ebenso ermüdend wie das anderer Metropolen. Wir ließen die Tate Gallery of Modern Art, das weltweit größte Museum für moderne Kunst im früheren Bankside Power Station, links liegen und querten die Themse ein weiteres Mal über die Millennium Bridge, an deren nördlichen Ende St. Paul’s Cathedral gegen die moderne Architektur aufbegehrte.

Die Märtyer des 20.Jahrhunderts schauten uns von der Westwand der Westminster Abbey beim Fotografieren zu. Maximilian Kolbe, Elisabeth von Hessen-Darmstadt, Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer waren nur einige von ihnen. Während in der britischen Krönungskirche und Grablege gekrönter Häupter und berühmter Personen wie Darwin und Dickens, Händel, Livingstone und Laurence Olivier fotografieren strengstens verboten war, demonstrierte ein älterer Mann auf der anderen Seite der Margaret Abingdon Street einsam gegen Krieg und Rüstung. Vor dem House of Parliament blickte der Lordprotektor Oliver Cromwell düster von seinem Sockel auf die Passanten hinunter während der Londoner Himmel sonnig und modern geworden war und wir dem alten Nebel von London nie begegnen sollten. Später hörte ich, dass im modernen London erst die Nächte reizvoll sein sollten. In den Zeiten von Jack the Ripper und Sherlock Holmes wurde das vermutlich anders gesehen. Über die Westminster Bridge querten wir wieder einmal die Themse und ignorierten das überteuerte Sea Life und London Eye, während einige Andenkenverkäufer mit Schlüsselanhänger, Plüschkuschelkissen mit aufgesticktem Union Jack und anderem Nippes lockten.

Am Trafagar Square, dem „Herzen des British Empires“, wie er von den Londonern genannt wird, war der Countdown zu den Sommerspielen zu verfolgen. Wir gönnten uns im „Garfunkels“ ein Bier bevor wir durch das gewaltige Halbrund des 1910 fertig gestellten Admirality Arch zur Flaniermeile der Mall schlenderten. Wir verzichteten auf das obligatorische Fotoshooting in der südlich gelegenen Downing Street und verfolgten die Vorbereitungen zum 60jährigen Thronjubiläum Elisabeth II. am Buckingham Palace. In der Victoria Street versuchten Steinsägen, Trennschleifer und Schlagschrauber den Straßenlärm zu übertönen. Kieslaster und Betonmischer zwängten sich durch die Straßenschluchten und bestimmten den neuen Londoner Sound. Wir waren zugedröhnt vom „swinging 21st century” und analysierten das weit verzweigte bike sharing an der Grosvenor Road. Auf der anderen Seite der Themse lag das Battersea Power Station, das alte Kohlekraftwerk, welches als eines der größten Ziegelgebäude Europas seine Glanzzeiten hinter sich hatte und durch das 1977 erschienenen Album Animals von Pink Floyd international bekannt wurde.

Am Speakers Corner diskutierten nur einige amerikanische Eichhörnchen, die den einheimischen Arten in letzter Zeit heftig zusetzen. Seit dem Import eines Pärchens vor etwa 150 Jahren verdrängen die grauen Nager ihre britischen Artgenossen, was selbst Prinz Charles in letzter Zeit zu drastischen Maßnahmen verleiten sollte. Dem Guardian zufolge kündigte der Brite an, „dass Grauhörnchen auf seinen Landgütern gekeult werden sollen. Das Ziel sei, den Bestand der Tiere im Herzogtum Cornwall zu kontrollieren, um ihre roten Artgenossen und die Wälder zu schützen.“ Wir wussten noch nicht viel von Benedict Cumberbatch und dem smarten Sherlock Holmes der Neuzeit, als wir in der, im Grunde genommenen fiktiven, Baker Street 221B auf die Spuren des Protagonisten von Arthur Conan Doyle stießen. Das heutige Sherlock Holmes Museum wurde in einem denkmalgeschützten Stadthauses von 1815 angesiedelt und bot neben zahllosen Ausstellungsstücken und touristischem Trödel  einen Blick in das berühmte Wohnzimmer von Sherlock Holmes. Abbey Road, das elfte Album der Beatles und entstanden in der Trennungsphase der Fab Four, wurde nach der gleichnamigen Straße im Londoner Stadtteil St. John’s Wood im Stadtbezirk City of Westminster benannt, wo sich die weltberühmten Tonstudios der EMI befinden. Wir passierten die berühmten Zebrastreifen, die erst im Dezember 2010 vom britischen Minister für Tourismus und Denkmalschutz John Penrose unter Denkmalschutz gestellt worden waren, bevor wir endgültig die Straßen von London verließen.

„… so how can you tell me you're lonely, and say for you that the sun don't shine, well let me take you by the hand, and lead you through the streets of london, i'll show you something to make you change your mind …”*

*Ralph Mc Tell, Streets of London, 1969

Battersea Power Station

Das zwischen 1933 und 1983 in Betrieb befindliche Kraftwerk erfuhr auf zahlreichen Musikalben britischer Rock- und Popbands eine Renaissance.

"Gherkin-Gurke" und Tower

"Das „Laboratorium der Moderne“, wie der Historiker Frank Otto London nannte, droht im Wettstreit der Architekten im 2. Jahrtausend seine Seele zu verlieren."

Buckingham Palace

Die Residenz der britischen Monarchen wurde 1703 von John Sheffield, 1. Duke of Buckingham and Normanby, erbaut.

British Protest

"Während in der britischen Krönungskirche und Grablege gekrönter Häupter und berühmter Personen fotografieren strengstens verboten war, demonstrierte ein älterer Mann auf der anderen Seite der Margaret Abingdon Street einsam gegen Krieg und Rüstung."