Es stellt sich fast die Frage nach einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters. Fast. Während mancher Rock-’n’-Roll Ableger einen kurzen Sommernachtstraum am glänzenden Musikhimmel leuchtet, rollt das Urgestein unaufhaltsam seit 40 Jahren. Nach dem verspäteten Start ihrer Bigger Bang Europa Tour spielten die Rolling Stones vor zehntausenden Fans im Berliner Olympiastadion. Rock-’n’-Roll muss eine Droge sein. Ein Lebenselixier. Forever Young? Entgegen allen Unkenrufen und den Fantasien mit hämischer Freude eine Absage erteilend, ziehen sich die Rolling Stones nicht aufs Altenteil zurück. Und haben dies auch gar nicht nötig.
Der Amerikaner Jay Leno bewitzelte in seiner Tonight Show den Auftakt der Welttournee als „We’re Grateful. We’re Not Dead Tour“. Doch allen Falten, Furchen, Peinlichkeiten und Palmenstürzen zum Trotz. Die Rolling Stones waren, sind und werden bleiben. Auch und gerade wegen aller Falten, Furchen und Palmenstürzen. Wegen Ihrer Musik, in denen immer noch der Drive der ersten Stunde liegt. Die Fans der frühen Jahre sind mit ihren Idolen älter geworden. Allerdings treffen sich auf einer Welttournee die Generationen. Von den Eltern angesteckt, dem Fieber erlegen; die Rock-’n’-Roll Institution trennt nicht die Jungen von den Alten sondern verbindet sie. Die Rolling Stones selbst sind Droge.
„Jumping Jack Flash“ ist der Auftakt im Berliner Olympiastadion. Ein Paukenschlag der den ganzen Abend anhält. „Wir freuen uns wieder in Berlin zu sein“ ruft Mick Jagger auf Deutsch und lässt daran keine Minute Zweifel aufkommen. Der Altrocker muss laufen, sich bewegen und seinen Waschbrettbauch zeigen, auf den Jüngere neidisch sein können. Mick Jagger pflegt auch mit 62 Jahren sein Image des „Bad Boy“. Neben Liedern des im vergangenen Jahr veröffentlichten Albums „A Bigger Bang“ sind es Hits wie „Brown Sugar“ und „Angie“ die das Fieber in der Arena steigen lassen.
Eigentlich ist kein Feuerwerk mehr notwendig. Doch ist so die Show auch noch ein wenig mehr sehenswert. Die große Errungenschaft ist eine neue Bühne die direkt ins Publikum gefahren wird. Auf Emporen, die direkt in die Bühne integriert sind, verfolgen ausgewählte Fans den Auftritt des „kleinen Familienbetriebes“, wie Keith Richards im Interview mit Tom Buhrow einst die Stones bezeichnete. Nach ihren Konzerten in Nord- und Südamerika, Australien und Asien erobern die Rolling Stones Europa. Wieder und wieder. Die bösen Jungs sind älter geworden und können es nicht lassen. Die Altrocker brauchen den Kick. Sie brauchen ihre Songs, ihre Tourneen, ihre Fans und die Bestätigung. Nach ihrem letzten Studioalbum
„Bridges to Babylon“ (1997) reflektiert „A Bigger Bang“ die Faszination der Stones für den Urknall des Universums. Herausgekommen ist ein Rolling Stones Album. Gut und ohne Experimente. So wie man sie kennt. Zeitlos und ewiger Rock-’n’-Roll von Keith Richards, Charlie Watts, Mick Jagger und Ron Wood. Ein Quartett, das man nicht anders kennt. Mick Taylor und Bill Wyman haben sich längst gelöst vom Kick. Brian Jones ist im Pool ertrunken. Doch die größte Rock-’n’-Roll Band der Welt bleibt ein musikalisches Phänomen. Und es ist gut so, wenn die Frage nach dem „Wie lange noch?“ verdrängt wird. „I can’t get no Satisfaction“. Der Klassiker klingt zum Abschluss nicht trotzig, sondern fast wie ein Versprechen.