NORDFRANKREICH
VON VERDUN NACH BREST, NORMANDIE UND BRETAGNE
Hölle von Verdun

Die Urkatastrophe der jüngeren Geschichte riss die Welt in den Krieg und Millionen Männer, Frauen und Kinder in den Tod. Der von allen beteiligten Gegner forcierte Krieg brachte Not und Elend, den Verlust von Familie und Heimat und war maßgebliche Ursache für den nachfolgenden Zweiten Weltkrieg.

Besonders die monatelangen blutigen Kämpfe um Verdun, die den Beginn der modernen Materialschlachten bildeten, wurden zum deutsch-französischen Symbol der tragischen Ergebnislosigkeit des Stellungskrieges.

Blick auf das Beinhaus der Gedenkstätte L’Ossuaire de Douaumont

Gallische Legende

Die unumstrittenden Nationalhelden Asterix und Obelix wehren sich 2.000 Jahre nach der Unterwerfung Galliens in mehr als 30 gezeichneten Abenteuerbänden erfolgreich gegen die römische Invasion unter Julius Cäsar.

Vive la Révolution! Der wichtigste Impuls der republikanischen Identität liegt schon mehr als 200 Jahre zurück und doch gilt der Dreiklang von Liberté, Egalité und Fraternité den Franzosen als Urgrund für die Überlegenheit des Landes. Der Mythos des geschmackvollen französischen Lebens, die Hingabe der Franzosen, sich für das Schöne notfalls zu ruinieren, Leidenschaft und Kreativität lassen seit Jahrzehnten manchen deutschen Sauertopf neidisch werden. Doch was reizt nur immer so an Frankreich? Ist es der Wein, die Landschaften und Kulturen? Sind es die alten Ressentiments, von denen man sich überzeugen möchte, dass sie noch da sind oder soll vielmehr Klarheit geschaffen werden darüber, dass es sich „wie Gott in Frankreich“ doch besser lebt?  

Im Frühjahr 1998 wollte ich mich von „Vive la France“ selbst überzeugen. Im ADAC Reiseführer fand ich einen passenden Einstieg in meine Reise. „Wenn in einem schattigen Fleckchen im Park die Boule-Kugeln aneinanderklacken, wenn eine aparte junge Dame im Bistro an ihrem Cafe au lait nippt, wenn sich eine Flasche Rotwein und eine Packung Filterloser auf dem Tisch „Bonjour“ sagen, dann weiß jeder Bescheid – ganz klar, das ist Frankreich. Mag die große Welt auch aus lauter kleinen schlechten Welten bestehen – von allen ist Frankreich die beste, keine Frage, pas de question!“ Ich konzentrierte mich auf den französischen Norden mit seiner historischen Normandie und dünnbesiedelte Bretagne. Ich setzte mir einige Wegmarken und überließ den Rest der Reise dem Zufall. Ich sprach nur soviel französisch, dass ich klarmachen konnte kein französisch zu sprechen, doch setzte ich auf meine Intuition und die Offenheit der Franzosen.

Über Saarbrücken und Metz erreichte ich mein erstes Reiseziel Verdun. Die kleine Stadt an der Maas geriet in das Zentrum eines der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkrieges und wurde zum tragischen Sinnbild eines Krieges, in dem Soldaten durch den Willen ihrer Vorgesetzten zu „Menschenmaterial“ degradiert wurden.

Die „Erziehung vor Verdun“ dauerte vom Februar bis zum Dezember 1916 und ging auf den Plan des deutschen Generalstabschefs Erich von Falkenhayn zurück. Falkenhayn, der ein „Ausbluten“ der französischen Armee beabsichtigte, wollte durch den massiven Angriff auf den Angelpunkt der französischen Verteidigung den Gegner binden und damit andere Frontabschnitte entlasten. Letztlich lief der widersinnige Plan ins Leere, 170.000 französische und 150.000 deutsche Soldaten kamen während der Stellungschlacht ums Leben. Eine Generation an Männern wurde verstümmelt, getötet und demoralisiert. Besonders „der Kampf um die Höhe Toter Mann und Höhe 304 waren zum Zeichen eines völlig entmenschlichten Krieges geworden: die Soldaten fielen den einschlagenden Granaten zum Opfer, ohne auch nur einen Feind gesehen zu haben. Der vom 9. bis 14. April am „Toten Mann“ in Stellung liegende französische Hauptmann Augustin Cochin vom 146. Infanterieregiment sah in der ganzen Zeit in den ersten Linien keinen einzigen angreifenden deutschen Soldaten. Er beschrieb diese Hölle so: „Die letzten zwei Tage in eisigem Schlamm, unter furchtbarem Artilleriefeuer, mit keiner anderen Deckung als der Enge des Grabens… Natürlich hat der boche nicht angegriffen, das wäre auch zu dumm gewesen… Ergebnis: Ich bin hier mit 175 Mann angekommen und mit 34 zurückgekehrt, von denen einige halb verrückt geworden sind…. Sie antworteten nicht mehr, wenn ich sie ansprach.“ (Wikipedia)

Während in frühen Jahrhunderten die französische Sprache als modern und schick an den Höfen Europas und der Diplomatie galt, konzentrierte man sich nach der Französischen Revolution und dem Scheitern der napoleonischen Großmachtspolitik, die den Nationalismus und die Freiheitsbewegungen der unterworfenen Völker hervorbrachte auf die eigene Sprache. Das aufstrebende Bürgertum in Deutschland beispielsweise dachte national und sprach Deutsch. Nebenbei bemerkt drängte das Vereinigte Königreich als aufstrebende Kolonialmacht die Franzosen im 19.Jahrhundert zur Seite und etablierte die englische Sprache praktisch als Weltsprache. Das neu gefundene Nationalbewusstsein der einzelnen europäischen Staaten gipfelte in den der „deutsch-französischen Erbfeindschaft“ angedichteten Auseinandersetzungen. Während der Begriff der Erbfeindschaft zum ersten Mal in den 1640er Jahren auftauchte, wurde er in den Zeiten Napoleonischen Besetzungen aktualisiert und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges von Propagandisten schamlos bedient.

Kurz vor Reims schlug ich mein Zelt an einem Waldrand auf und genoss Baguette, Käse und einen bekömmlichen Tempranillo. Während ich am nächsten Morgen auf mein Kaffeewasser wartete, welches über einem kleinen Spirituskocher langsam hochköchelte, kam ein alter Jeep den Weg entlanggefahren. Ich rechnete schon mit wüsten Beschimpfungen und Wegezoll, doch der Bauer wollte nur nach dem Rechten schauen. Ein neugieriges „Bonjour“ und ich berief mich hoffnungsvoll auf mein „Je ne parle pas français. Parlez-vous allemand ou anglais?“ Meine redlichen Bemühungen fruchteten und wir parlierten in Englisch über das Wetter und mein bescheidenes Frühstück.

Über Rouen erreichte ich die Normandie und Etretat. Das Seebad ist vor allem durch die steilen Felsklippen mit ihren spektakulären Felsformationen, die den Ort auf beiden Seiten umrahmen bekannt. Das ehemalige Fischerdorf entwickelte sich im 19.Jahrhundert zum Badeort und zog neben internationalen Pauschaltouristen auch namhafte Künstler wie Claude Monet an. Vorbei an Le Havre und Caen bekam ich Probleme mit meinem Auto. Auch wenn mich mein Opel Kadett nicht im Stich lassen sollte, so leuchtete doch die nächsten eintausend Kilometer die Motorkontrollleuchte aufgrund einer defekten Abgassonde. Doch das bevorstehende Wochenende und anschließender Nationalfeiertag hielten alle Werkstätten geschlossen und so verließ ich mich wieder einmal mehr auf mein Glück, auch wenn ich in den nächsten Tagen etwas vorgespannt blieb.

Das Benediktinerkloster Mont Saint-Michel ragte rund wie ein Vulkankegel aus der Mündung des Couesnon etwa einen Kilometer vor der Küste im Wattenmeer. 708 gegründet, entwickelte sich die kleine Gemeinde zum Touristenmagneten, von dem jährlich etwa 3,5 Millionen Menschen angezogen werden. Die Wehrbauten, Kreuzgänge, Kapitelle, Säle, Säulen und Gänge sind bestes Beispiel für die frühe französische normannische Architektur. Eine Anzahl an historischen Ruderblättern mit geschnitzten Köpfen war in den Räumen ausgestellt. Ich fand die Symbolkraft bedeutend, doch ging mir die Bedeutung der Köpfe im Lauf der Jahre verloren. Noch heute leben im Kloster ein Dutzend Benediktiner. Seit 1979 gehören Berg und Bucht zum UNESCO Weltkulturerbe und seit 1998 zu einem Teil des französischen Jakobsweges. Saint Malo, die stolze Hafenstadt erreichte ich am späten Nachmittag und trank einen Kaffee in der Rue Toulouse 18. Die Festungsanlagen und originalgetreu wieder hergerichtete Innenstadt bieten ein spannendes Ambiente. Fischfang und Handel hatten Saint Malo im 16.Jahrhundert so reich gemacht, dass 1590 sogar eine eigene Republik ausgerufen wurde. Jacques Cartier, der 1534 Kanada entdeckte, stammte von hier ebenso wie die berüchtigten Korsaren René Duguay-Trouin und Robert Surcouf. Letzterer wurde zum Schrecken der holländischen und englischen Handelsschiffe und so erfolgreich, dass er sich bereits mit 35 Jahren zur Ruhe setzen konnte. Doch die Zeiten der französischen Freibeuter waren vorbei und am Kai hielten nur noch zwei Rentner ihre Angeln ins Meer.  

Durch die ständig leuchtende Kontrolllampe doch nervös geworden, verzichtete ich auf mein eigentliches Fernziel Brest. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Hafenstadt zum wichtigsten Stützpunkt im Atlantikwall, wo auch die 1. Unterseebootflottille und mehrere Schlachtschiffe stationiert waren. Die schweren Kämpfe um die Festung im Spätsommer 1944 zerstörten die historische Substanz der Stadt so dass sie heute „den Eindruck einer weitgehend gesichtslosen Planstadt mit Betonbauten“ macht, beschreibt Wikipedia das Stadtbild. Von Saint Malo fuhr ich daher direkt südwärts, um mir die Menhire von Carnac noch anzusehen. Der Ort ist bekannt für seine zahlreichen Dolmen und Menhire, die zu Steinreihen gruppiert sind. Die Bedeutung der etwa 3.000 Steingiganten ist immer noch nicht geklärt, so dass dem Mythos noch genügend Mythisches übrig bleibt. Die riesigen etwa 4.500 Jahre alten Steinbrocken stehen da wie nicht abgeholt und erinnerten mich an Obelix‘ Hinkelsteinwerkstatt. Nicht von ungefähr trug der Gallier seine Steinklunker ständig mit sich herum, gehören sie doch noch heute zum bekannten Attraktion der Bretagne. Die dünnbesiedelte Halbinsel war schon immer etwas speziell. Einsame Moor- und Heidelandschaften, unterbrochen von Wäldern, laden im Landesinneren zum Wandern ein, während die Küste stille Buchten und milde Temperaturen ebenso bietet wie schroffe, brandumtoste Klippen und raue Stürme. Alte Mythen und Legenden, heidnische Bräuche und tiefe Frömmigkeit sind eng im Leben der Bretonen verwoben und machen sie irgendwie sympathisch.

Bevor ich mich über Nantes und Bourges endgültig auf den Rückweg machte, stieß ich bei Quimber auf die Reste des Atlantikwalls, der immer noch lange Küstenabschnitte prägt. Die Überbleibsel künden vom zweiten großen Wahnsinn des  Jahrhunderts. Doch aus der alten herbeigeredeten Erbfeindschaft sind Busenfreund geworden. Doch den Klischees wusste ich nach meiner Reise auch nichts entgegenzusetzen. „Die Deutschen sind diszipliniert und leistungsorientiert, trinken Bier und essen Würste. Die Franzosen wissen stilvoll zu leben, sind gute Liebhaber und ernähren sich von Baguette, Burgunder und Camembert.“ stand im Reiseführer. Was dem Blutdruck und eigenen Wohlbefinden zuträglicher ist, lasse ich an dieser Stelle einfach offen.

Normandie

Der Hunderjährige Krieg zwischen Franzosen und Engländern schuf wehrhafte Burgen und Forts, die später zu Residenzen, Jagd- und Wohnschlössern umgebaut wurden.

Mont Saint-Michelle

Die aus dem endlos weiten Wattboden herausragende Abtei ist nicht nur wegen ihrer Lage auf einem 80 Meter hohen Felskegel weltberühmt, sondern auch wegen ihrer Architektur.

Mont Saint-Michelle, Ruder

Der Legende nach veranlasste Erzengel Michael persönlich den Bau der ersten Abtei zu Beginn des 8.Jahrhunderts.

Megalithen von Carnac

Rund um das bretonische Bauerndorf präsentieren sich mehr als 3.000 Menhire in den Anlagen von Ménec.

Atlantikwall, Bunker

Überwucherter Beton und Stahl zeugen noch heute vom 2.685 Kilometer langen Atlantikwall, der sich von Frankreich bis nach Norwegen zog.