1989 - HERBST IM OSTEN
EIN LAND GENANNT DIE DDR - ZWISCHEN WEHRERZIEHUNG UND RELIGIONSUNTERRICHT
Wendesymbol Trabi

Der Trabant 601 war der meistgebaute Personenkraftwagen in der DDR. Er wurde unter der Typenbezeichnung P601 von 1964 bis 1990 bei den Sachsenring Automobilwerken Zwickau gebaut.

Der nach den Wendezeiten verschmähte Trabi, der bereits zu DDR-Zeiten als Rennpappe geschmäht wurde, verkümmerte nach dem Fall der Mauer endgültig zum abgetakelten Lachobjekt. Das Symbol der Deutschen Einheit sollte erst wieder Jahre später zu später Anerkennung gelangen.

Vom Sinn des Lebens

Einige offizielle Reden, das Bekenntnis zur sozialistischen Heimat, Urkunde und Buch waren die Hauptbestandteile der Jugendweihe. Zuerst als "Weltall, Erde, Mensch", erhielten Titel und Inhalt im Lauf der Jahre einen neuen Anstrich.

"Unser Volk weiß es hoch zu würdigen, dass ihr Euch in Eurem Gelöbnis verpflichtet, getreu der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen, das revolutionäre Erbe unseres Volkes in Ehren halten, die Freundschaft zur Sowjetunion zu pflegen und die hart erkämpften Errungenschaften gegen jeden imperialistischen Angriff zu verteidigen.“ lies uns Erich Honecker als „Sinn des Lebens“ zur Jugendweihe übermitteln.

Nach dem Gelöbnis erhielt jeder das 245 Seiten Nachschlagewerk, welches über „die Zeit, in der wir leben“ Kenntnis gab und den sterbenden Kapitalismus wie über die „Gestaltung des entwickelten Sozialismus in der DDR“. Im Herbst 1989 wurde dem deutschen Sozialismus gekündigt.

Unsere Schulklasse sollte in jenem Jahr den letzten Jahrgang bilden, der noch mit allen Weihen die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule abschloss. Doch bevor wir unsere Zeugnisse, Medaillen und Urkunden erhalten sollten, wurden wir zum Arbeitseinsatz in den Gemeinden eingeteilt. Ich hob im Mai 1989 Gräben aus, verlegte Erdkabel und legte mit den Schulkameraden einen Spielplatz mit Rutsche, Karussell und Wippe an. Ich war von der Tristesse der ewigen Gruppennachmittage, des Stumpfsinns mancher Klassenkameraden und der Borniertheit unserer Nachbarn müde. Nicht dass ich aus der beschaulichen Gegend für immer weg wollte. Doch ich wollte über den bekannten Tellerrand schauen und war neugierig auf das Leben und die Menschen. Ich wollte wissen, wie meine sowjetischen Brieffreundschaften wirklich lebten, die kanadische Wildnis kennenlernen und ein Bier im historischen Prager Brauereirestaurant „U Fleku“ trinken.

Da der „Eiserne Vorhang“ im Sommer noch nicht ganz verrostet war, schob ich meine kanadischen Wünsche etwas nach hinten und buchte über Jugendtourist, dem damaligen Reisebüro der FDJ, eine Woche in der tschechoslowakischen Hauptstadt. Danach wurde ich noch zwei Wochen ins Pionierlager „Nikolai Ostrowski“ nach Eckartsberga delegiert. Mein Kalender sah einige Wochen vor dem Wendeherbst reichlich gefüllt. Keine 50 Kilometer Luftlinie von der Leipziger Nikolaikirche wurde ich im September mit den anderen angehenden Kollegen auf die sozialistische Berufsausbildung vorbereitet und zur Verteidigung und Ertüchtigung ins Wehrerziehungslager geschickt. Wir übten Schuhe putzen und marschieren, wiederholten die Schulübungen Karte und Kompass lesen und drückten uns auf Befehl in das nasse Unterholz. Der zweiwöchige Arbeitseinsatz auf einer LPG war dagegen im Oktober reinste Erholung. Danach holten uns die Ereignisse von Leipzig, Plauen und Karl-Marx-Stadt ziemlich schnell ein. In allen Städten, selbst in unserer Provinz, demonstrierten aufgebrachte Männer und Frauen gegen Bürokratie und Vetternwirtschaft. Vor etliche erleuchtete Fenster wurden die Vorhänge gezogen und die Türen fest verschlossen. Manche Funktionäre, Lokalbosse  und Mitläufer zitterten vor der Lynchjustiz ihrer lange denunzierten Nachbarn. Doch die Revolution sollte friedlich bleiben und die physische Mauer, die über Jahrzehnte die Welt in zwei Lager teilte, im Gegensatz zur „Mauer in den Köpfen“ fallen.

Die sozialistische Provinz hatte ihren eigenen Charakter entwickelt und war trotzdem zwischen Müritz und Eichsfeld, Zschopau und Schwielochsee gleich. Gleich auf Seite 3 des Heimatkundebuchs begrüßte uns der Vorsitzende des Staatsrates und wir lernten neben dem sozialistischen Aufbau im Heimatort die Kampfgruppen der Arbeiterklasse und unsere sowjetischen Befreier frühzeitig kennen. Wir lernten unter „Hammer und Sichel im Ährenkranz“ anzupacken, Subbotniks umzusetzen und Pioniernachmittage zu gestalten. Wir gelobten „zu lernen, zu arbeiten und zu kämpfen, wie es Ernst Thälmann lehrt.“ und tauschten zuerst unser blaues gegen das rote Halstuch und dieses dann gegen das Blauhemd der FDJ. Ebenso notgedrungen und gelangweilt wie „die Zirkel unter der blauen Fahne“ ließen wir die Einführung in die marxistisch-leninistische Philosophie im Staatsbürgerkundeunterricht über uns ergehen. Unser Schuldirektor nahm sich selbst unserer sozialistischen Erziehung an. Er versuchte die Jungs für den langjährigen „Ehrendienst“ in der NVA zu erwärmen und fand es sicher praktisch, selbst zwei Töchter zu haben, von denen eine nach dem Mauerfall zwischenzeitlich nach Zypern zog. Manche Lehrer sahen dass wie unsere Klassenbeste pragmatischer. Als ehemalige SED-Mitglieder, FDJ-Leiter oder GOL-Vorsitzende nutzten sie bereits früh die „Westverwandschaft“ ihrer Omas. Nach den heißen Wendejahren fühlten sie sich wieder frei ihrer eigenen sozialistischen Propaganda und für Taufe und Kirchenerhalt prädestiniert.

Doch bis dahin wurden wir von ihnen in Pioniernachmittagen geformt, in wöchentlichen Fahnenapellen über die politische Lage informiert und durch die  schwarzgeränderte Brille unseres Generalsekretärs des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzenden des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik Erich Honecker stillschweigend beobachtet. Die jährlichen Wahlversammlungen liefen immer nach dem gleichen Schema ab. Es begann mit dem obligatorischen Grußwort, dann ein Lied von Schallplatte und die Verlesung der Wahlordnung, Wahl des Präsidiums und das begleitende Stühle klappern. Der Rechenschaftsbericht wurde durch eine Jugendfreundin verlesen, dann folgte die Diskussion, welche sich meist um Rechenschaftsbericht und Arbeitspläne drehte und immer etwas um die Freundschaft zur Sowjetunion. Danach kam die Wahl der neuen Leitung dran, später die Wahl der Delegierten in die GOL (die Grundorganisationsleitung, z.B. der FDJ an einer Schule oder der SED an einer staatlichen Einrichtung) hinzu. Wahlannahme, Danke! Gegenprobe? Die Beglückwünschungen erfolgten meist mit Blumen und sanfter Hintergrundmusik von der Schallplatte. Mit einem gemeinsamen Lied wurde die Veranstaltung daraufhin beendet. Wir waren richtig gut darin, ebenso lange Schachtelhalmsätze über Altstoffsammelaktionen und Mitgliederversammlungen zu verfassen wie unsere Generalsekretäre und Schulleiter zu den Direktiven der Parteitage der SED und den Kreisdelegiertenkonferenzen.

So kannten wir schon seit unserer frühesten Jugend die revolutionären Zusammenhänge auf dem Weg der Menschwerdung, wussten „wie der Stahl gehärtet wurde“ und wetteiferten im Sinne von Arkadi Gaidar um die „Straße der Besten“.

Ich pflegte langjährige Brieffreundschaften mit Arthur im sowjetischen Gorki (heute Nischni Nowgorod) und mit Tanja im damaligen Leningrad und es musste an den vielen Briefen gelegen haben, dass 1986 die radioaktive Wolke von Tschernobyl um die DDR einen Bogen machte. Mir lagen die alten Abenteuer von  Burt Lancaster näher als die von Moritz in der Litfasssäule. „Klock 8, achtern Strom“ stand eindeutig gegen „Einer wird gewinnen“ in meiner Gunst hintenan, was mir Tom heute verzeihen möge.

Im Deutschunterricht wurden uns die Präfixe und Suffixe, Konsonanten und einige Pronomen beigebracht, welche wir in nicht abreißenden Klassenaufsätzen über die „Bedeutung der Braunkohle für die Volkswirtschaft der DDR“ oder in Hausaufsätzen „erlebnisorientiert“ verarbeiten durften. Im April 1988 hatte ich mich mit dem letzten Aufsatz abzuquälen, entschied mich für Bruno Apitz‘ „Du bist ein Mensch, beweise es!“ und war aufgefordert „auf Konflikte und Entscheidungen literarischer Gestalten aus diesem sozialistischen Kunstwerk!“ einzugehen. 1987 hielt die digitale Zukunft in Form des 123 Mark teuren Schulrechners SR1 Einzug. Die „Einführung in die sozialistische Produktion“ (ESP) indessen war weit praktischer als der Name vermuten ließ. Wir lernten Biegemomente, Stirnradgetriebe und Einlassventile kennen und festigten die Theorie im PA-Unterricht (Produktive Arbeit) durch den praktischen Gebrauch von Bohrmaschinen und Feilen. In der Kantine des Zementwerkes, in welchem wir im zweiwöchigen Rhythmus den ESP und PA Unterricht abhielten, entwickelte ich meine immer noch anhaltende, herzhafte Abneigung für Eisbein.

Wir vertieften unser Wissen in Astronomie und Werkstoffkunde, übernahmen „freiwillig gesellschaftlich-nützliche Arbeiten“ und an Chemie- und Historikerolympiaden teil. Doch mit dem „dialektischen und historischen Materialismus“ konnte ich ebenso wenig etwas anfangen wie mit der „Diktatur des Proletariats“. Ich pflegte das revolutionäre Erbe  meiner Vorfahren und ging nach Schulschluss regelmäßig zum Religionsunterricht. Dass mir somit meine beruflichen Wege eingeschränkt wurden, obwohl Erich Honecker geschrieben hatte, dass wir „Meister unsere Faches werden und unentwegt lernen sollten“, war mir damals nicht bewusst. Ich fühlte mich jenseits von Mainstream, der damals noch nicht so genannt wurde und wie Timur und sein Trupp, Old Shatterhand und Robin Hood zusammen.

Während der in den 1980er stattfindenden Kreisdelegiertenkonferenzen der FDJ häufig die sowjetischen Initiativen zur Bereitschaft aktiver Dialoge mit den USA, die „Erweiterung der vertrauensfördernden Maßnahmen“ und die „hohen Leistungen zur Durchsetzung der Politik der SED“ gewürdigt wurde, musste sich unser Mathelehrer Klaus Bauer vor der Schulleitung rechtfertigen, weil er einen grünbehaarten Alf einer faszinierten Schülerschar auf dem Pausenhof präsentierte. Glasnost und Perestroika waren in der Provinz von Herrn Kirmse und Frau Rabenstein noch nicht angekommen. Unsere Schule allerdings, die Jahrzehnte ohne Namen ausgekommen war und einfach nur POS hieß, erhielt im Jahr vor dem Mauerfall noch den Namen des heimischen Kommunisten Willi John.

Am 11. November 1989 reihten auch wir uns für ein Visum im Polizeirevier und später in die endlose Schlange der Grenzgänger ein. Trabant drängte an Trabant und Freiheit war nie so deutlich zu spüren wie in jenen Wochen. Der Schulunterricht fiel des Öfteren aus und  eine gewisse Anarchie machte sich breit. In „Sozialistischem Recht“ kamen wir bis zur Seite 33 des schmalen Lehrbuches und den Aufgaben und Zuständigkeiten der Konfliktkommission (als gesellschaftliches Organ der Rechtssprechung). In den Grundlagen der Betriebsökonomik erreichten wir immerhin noch Seite 47 und erfassten die Zusammenhänge von Betriebsplan und zentraler staatlichen Planung. Ich erhielt im Zwischenjahr 1990 noch eine der letzten Auszeichnungsfahrten ins thüringische Suhl und schloss meine Lehre im folgenden Jahr im vereinheitlichten Deutschland ab. Danach war es mir gelungen, über den „Tellerrand“ zu schauen, Menschen, Länder und das Leben zu studieren und trotzdem immer wieder gern in die Provinz zurückzukehren.

Die ehemaligen Funktionäre behielten nach 1990 oftmals ihre Positionen oder wussten sich, frei nach Karl Marx „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“, mit dem neuen System zu arrangieren. Später wollte wieder einmal niemand von irgendetwas gewusst haben. Der erste Vereinigungsrausch wich einem mächtigen Kater, der immer wieder von Medien und Politik geschürt wurde. Das über Ossis und Wessis, die sich als neue Spezies erfanden, in Masse berichtet und geschrieben wurde, ist fast überflüssig zu erwähnen.

"Anforderungen an die eigene Persönlichkeit sind mit dem Versprechen verbunden, stets kameradschaftlich zusammenzuarbeiten, Euch gegenseitig zu achten und zu helfen, das persönliche Glück immer mit dem Kampf um das Glück des Volkes zu verbinden. Eure Eltern und Lehrer, die Freunde der Freien Deutschen Jugend und die Paten aus den Betrieben werden Euch dabei mit Rat und Tat zur Seite stehen. Von den Erfahrungen, die sie an Euch weitergeben, legen wir Euch vor allem eine ans Herz: Fleiß und Wissen, nützliche Tat und Opferbereitschaft sowie unwandelbare Treue zum Sozialismus haben unser Land vorwärtsgebracht und werden es auch in Zukunft weiter voranbringen.“ (Grußwort von Erich Honecker, Der Sinn des Lebens, 1983)

Fahnenappell Vitzenburg

„Zum Beginn des Unterrichts erhob sich die Klasse und es wurde der Gruß der Pionierorganisation (Lehrer: Für Frieden und Sozialismus seid bereit, Klasse: Immer bereit) oder der FDJ (Lehrer: Freundschaft, Klasse: Freundschaft) verwendet. Anschließend setzte sich die Klasse wieder.“ (Quelle: Wikipedia)

DDR Propaganda 1953

Noch bevor die deutsche Teilung mit Beton zementiert wurde und sich der Eiserne Vorhang für Jahrzehnte schloss, demonstrierte die DDR Propaganda wehrhaft und entschlossen für das Wohl des Volkes und "zur Verteidigung des Friedens".

Stern Recorder

In den ausgehenden 1980er Jahren beeinflussten der bald verbotene "Sputnik" und die späten (hier von Wolfgang Tilgner und schwer erhältlichen) Biographien westlicher Künstler den DDR-Sozialismus. Der Radiosender DT64 stand plötzlich für eine neue, offenere Politik und legte, vermutlich in Bezug auf dessen "proletarische Wurzeln", sogar Elvis Presley auf.

Für Frieden und Sozialismus - Einschulung 1979

"Sozialistische Recht ist der zum Gesetz erhobene Wille der Arbeiterklasse und aller Werktätigen, das ist das zuverlässige Macht- und Leistungsinstrument zum Schutz, zur Sicherung und Entfaltung sozialistischer Gesellschaftsbeziehungen.“

Presseorgane

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Comics von Reiner Schwalme, Heinz-Helge Schulte und die sogenannten Ungarn-Exporte. Die "Trommel", wöchentlich erscheinende Zeitung für Thälmannpioniere und Schüler, gehörte zum festen Abonnement.