CHILE - OSTERINSELN 4 von 4
RANO RARAKU, TANGATA MANU, MAKEMAKE UND MOAI
Moais am Anakena Strand

Der Mythos der Steinskulpturen lockt jährlich 800.000 Touristen auf die Pazifikinsel. Doch noch heute ist nicht eindeutig klar, wie die Statuen vor Jahrhunderten transportiert wurde. Thor Heyerdal, William Mulloy, Charles Love stellten Theorien auf, die auch den Schwund der Wälder erklären sollten. Doch keine dieser teils auch praktisch umgesetzten Annahmen führten zu einem endgültig schlüssigen Ergebnis. Der mündlichen Überlieferung der Rapanui zufolge sind die Steinfiguren jedoch "aufrecht gegangen".

"Move Each Moai"

Über die Herstellung der Tuffsteinskulpturen herrscht auch heute keine eindeutige Erkenntnis. Die jüngste Theorie der Amerikaner Terry Hunt und Carl Lipo von 2011 erklärt die "schaukelnden" Statuen als Teamarbeit. Zwei Gruppen mit Schaukelbewegungen am Klotz, die dritte stabilisiert sie. (Bild: National Geographic, 2012)

Rapa nui, der „Nabel der Welt“, ist ein kleiner Flecken in den Weiten des Pazifischen Ozeans. Als er für mich nach fast fünf Stunden Flug von Santiago de Chile langsam größer wird, sind mir die Geschichten über Mata ki te Rangi, „Augen die zum Himmel schauen“, wie die Insel von den Einheimischen genannt wird, wieder gegenwärtig.

Langohrige Moai, Vogelmänner und Selbstzerstörung, Einsamkeit und Sehnsuchtsort. Selbst Erich von Däniken ließ wieder Außerirdische auf der Pazifikinsel zwischenlanden. Die Insel, die 14.364 Kilometer von Braunschweig, 7.000 Kilometer bis Auckland und zur weitest entlegenen Insel der Welt zählt, ist umgeben von Mythen, Sagen und wilden Theorien. Auf die Spuren der Tuffsteinriesen, Tangata manu und Petroglyphen, von Obsidianen und Makemake stoße ich bei jedem Schritt.

In den Blickpunkt der Europäer rückte Rapa nui erstmals am Ostersonntag 1722. Die weißen Götter brachten Eisenäxte, Nägel, Webstoffe und Kanonen und erschossen mehrere Insulaner. Ein halbes Jahrhundert später wurde die entlegene Insel von den Spaniern unter dem Kommandanten Felipe González kolonisiert und missioniert. 1774 erreichten die deutschen Forscher Reinhold und Georg Forster mit der Expedition von James Cook das inzwischen baumlose Atoll und protokollieren den Verfall. Viele Statuen lagen zerbrochen und vornüber gestürzt, Stammesführer genossen keinen Respekt und die Gemeinschaftshäuser waren unbewohnt. In den nachfolgenden Jahrzehnten ging es mit der Osterinsel und seinen Polynesiern  weiter bergab. Sie wurden von amerikanischen Walfängern verschleppt und versklavt; der Franzose Jean Baptiste Dutroux-Bornier krönte sich zum Inselkönig, Grippe und Syphilis taten ihr Übriges und im Jahr 1877 lebten nur noch 111 Personen auf der Insel. Nach dem Kauf der Insel durch die chilenische Regierung verbesserte sich die Situation für die Polynesier kaum, da sich das Festland nicht um das entfernte Eiland kümmerte, welches als riesige Viehweide genutzt wurde. Doch das Geheimnis der Moais war noch immer nicht gelöst und so versuchten zahlreiche Forscher die Geschichten, Mythen und Fakten zu entwirren. Neben anderen erschlossen der deutschstämmige Kapuzinerpater Sebastian Englert, die Engländerin Katherine Routledge, der Franzose Alfred Métraux und der Deutsche Thomas Barthel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Schritt für Schritt die vergangenen Geheimnisse. Thor Heyerdahl führte zwischen 1955 und 1956 Ausgrabungen und praktische Experimente durch und richtete den ersten Moai wieder auf. Paradoxerweise begann die schrittweise Eigenständigkeit der Osterinsel unter dem Diktator Augusto Pinochet, der ein besonderes Wohlwollen für die Osterinsel entwickelt hatte und als erster chilenischer Präsident die Insel besuchte. Mit dem 1994 von Kevin Costner produzierten Film Rapa Nui – Rebellion im Paradies und einer chilenischen Seifenoper einige Jahre später rückte die entlegene Insel ins Blickfeld des Tourismus, der sich in den folgenden Jahren vervielfachte.

Einmal täglich landen die Flugzeuge der chilenischen Fluggesellschaft LAN auf dem Internationalen Flughafen Mataveri, dessen Landebahn, die 1984  von der NASA als Notlandeplatz für die Raumfähren ausgebaut wurde, den südlichen Zipfel der Vulkaninsel zu zerschneiden scheint. Eine junge Engländerin begrüßt mich mit den typischen polynesischen Blumenkränzen, frisch gesteckt und vom Servicepersonal des kleinen Hotels, in dem ich untergekommen sind, nach zwei Tagen entsorgt. Schade eigentlich. Die Hotelanlage in der Te Pito O Te Henua Street in Hanga Roa ist geschmackvoll eingerichtet und nur an wenige faustgroße Kakerlaken untervermietet. Das Problem der ungeliebten Insekten ist ein inselweites und gehört zum Alltag, wie ich einige Tage später erfahre. Der kleine Ort Hanga Roa ist  quasi die Hauptstadt der Insel; beherbergt Kirche, Feuerwehr, Fußballplatz und Schule, Souvenirläden und Reisebüros und mit etwa 3.500 Einwohnern den Großteil der 4.000 Insulanern. Gegenüber unserem Hotel lagen Feuerwehr und Postamt, in welchem wir uns unseren, obligatorischen, Rapa nui Stempel in den Reisepass einstempeln ließen. Am Ende der Te Pito O Te Henua Street die sich mit der Tuu Koihu Street kreuzte, lag die kleine Kapelle der Insel mit ihren ausdrucksstarken Holzstatuen und etwa 100 Meter nördlich an der Ara Roa Rakei der kleine Markt der Stein- und Holzschnitzer. Hier gab es alles zwischen polynesischen Barby-Puppen und  Schlüsselanhänger, kunstvollen Holzmoais,  Rei Miro, Moko-Miro und Moai Kavakava mit halberegiertem Penis aus Holz was des Touristen Herz erfreut. Die steinernen Ostereier fand ich wiederum ganz witzig.  Ein älterer Chilene ging seiner Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach und pinselte den womöglich einzigen Fußgängerweg der Insel sorgsam in grellem Gelb. Die Moais von Tahai und Vai Uri hielt ich mir für den Sonnenuntergang auf. Einige Hunde kläfften die grasenden Pferde an, die sich nicht an die Regeln des UNESCO geschützten Nationalparks hielten und zwischen den archäologischen Stätten ihre Nahrung suchten. Während die Einheimischen über zerschnittenen Benzinfässern ihren Fisch grillten, machte ich es mir in Sichtweite der Ahu Vai Uri ebenfalls gemütlich und ließ mir das heftig überteuerte und fade Mahina Inselbier schmecken.

Die in den letzten Jahren verbesserte Anbindung an das Festland hat die Einwohnerzahlen ansteigen lassen und neben Eingeborenen und Chilenen suchen vermehrt Engländer, Franzosen und Deutsche ihren Ausstieg von der Zivilisation in der Einsamkeit des Pazifischen Ozeans. Der Tourismus spielt auch hier eine wesentliche Rolle und die meist jungen Aussteiger führen als Reiseleiter neugierige Touristen zu den Highlights der Insel. Eine junge Frau aus Bayern, heute bin ich mir nicht mehr sicher ob ihr Name Angelika war, hatte sich während ihres Studienaufenthaltes in einen Rapanui verliebt und ihre neue Heimat auf der Insel gefunden, zeigte uns die gestürzten Moais von Aka Hanga und Ahu Te Pito Kura. In der Hotu-iti-Bucht erwarten mich die wieder errichteten Ahu Tongariki, fünfzehn Tuffstatuen, die tonnenschwer auf flachen Fundamenten thronen. Nach einem verheerenden Tsunami 1960 zerstört und weit ins Landesinnere gespült (der schwerste Moai mit immerhin 88 Tonnen), wurden die Kolosse zwischen 1993 und 1995 wieder an ihren ursprünglichen Standorten errichtet. Gegenüber Tongariki liegt Rano Raraku, die Wiege der Moais. Der Schlackenkegel lieferte das Material für die Ahnenbilder. Den Forschungen zufolge endete die Arbeit an den Statuen von einem Tag auf den anderen. Die Legende der alten Zauberin scheint die Theorie zu bestätigen. Demnach hatte die Zauberin eine riesige Languste gefangen und den Steinmetzen zum Verzehr gebracht mit der Bitte ihr ein kleines Stück übrig zu lassen. Doch die Arbeiter aßen die Languste auf und setzten die Arbeit fort, worauf die Alte, aufs Äußerste erzürnt, den Steinfiguren einen Zauberspruch zurief, durch den sie mit einem Schlag umstürzten. Zauberei hin oder her. Uns holte zumindest ein heftiger Regenschauer ein, der auch die letzten Schwalben in ihre Nistplätze zurücktrieb, und uns vom Hügel verscheuchte.

Am Anakena Strand grillten einige Einheimische, streunten Kinder, Pferde und Hunde umher und der feine, weiße Korallenstrand lud zum Baden ein. Nur die Motorsensen einiger quirliger Insulaner störte die Ruhe des weiten Pazifiks. Die beeindruckenden Ahu Nau Nau, die hier schweigsam von ihren Zeremonialplattformen herunterblickten und von den tonnenschweren roten Tuffsteinhüten Kopfschmerzen zu haben schienen, gehören zum kulturellen Höhepunkt der Bildhauerhistorie.

Te Pito Kura, „der rote Nabel“, ist der Nabel der Welt, Zeremonieplatz und kugelrunder Stein, der vermutlich natürlichen Ursprungs ist. Für die Esoteriker ein Ort mit ungewöhnlichen Eigenschaften, vermuteten die Anthropologen und Wissenschaftler, dass die Anlage in den 1960er Jahren für leichtgläubige Touristen errichtet worden sei. Also alles nur wieder Humbug und Touristenfalle? Als ich der Versuchung nachgebe und den Stein wie die Amerikanerinnen vor mir berühre, spüre ich ein sanftes Kribbeln in meinen Fingern. 3.500 Kilometer von der chilenischen Küste entfernt ist mir die Rationalität egal und ich genieße die Schwingungen von Rapa nui.

Am Puna Pau stoßen wir auf die steinerne Hutmanufaktur der Moais, einen Pferdeschädel der in der Sonne vor sich hinbleicht und am Ahu Akivi warten die sieben Moais auf uns, die als einzige in Richtung Meer blicken und von den Marsianern in „Mars Attacks“ zerstört werden. Ein ziemlich skurriler Werbegag, doch selbst Kevin Costners „Rapa nui“ ist noch immer im regelmäßigen Kinoprogramm von Hanga Roa zu finden. Oronga liegt eine knappe Wegstunde südlich von Hanga Roa und ist die letzte Kultstätte der Osterinsel. Im Schatten des Rano Kau Vulkans gelegen, von dem sich ein spektakulärer Ausblick auf die drei der Südwestküste vorgelagerten Motus bietet und welcher der einzige große Wasserspeicher der Insel ist,  drückt sich die Zeremonialanlage an den steil abfallenden Kraterrand. Die Petroglyphen sind absturzgefährdet und für den Zugang gesperrt. Im Norden heben sich die dunklen Pflanzungen von Maunga Otu’u gegen den Horizont und versprechen die Lösung gegen die langjährige Bodenerosionen.

Von hier geht der Blick weit zum Horizont. Der Pazifik ist allgegenwärtig und weit und hier so glasklar wie selten nur auf der Erde, die sich mit dem Zivilisationsmüll selbst zugrunde richtet. Und so scheint am Ende der Reise gerade die Osterinsel mit ihren mittelalterlichen, selbstzerstörerischen Insulanern die Geschichte der modernen Zivilisation vorwegzunehmen. Doch haben die Insulaner versagt, weil sie die Wälder abholzten und die natürlichen Ressourcen sträflich erschöpften? Eine andere Theorie, die vorhandene Wälder in Zweifel zieht beziehungsweise Ratten und andere Schädlinge für deren Niedergang verantwortlich macht, zollt den Rapanui Respekt, da sie sich trotz  geringer Ressourcen so lange auf der Osterinsel behaupten konnten.

Rano Raraku

Die Geburtstätte der Moai ist der wohl interessanteste Ort der Insel. Über 300 Statuen stehen und liegen teilweise verschüttet an den Hängen des Vulkans und rund um den Kratersee.

Te Pito o te Henua

Der "Nabel der Welt" ist ein kreisrunder Stein, in dem Esoteriker besondere Eigenschaften und Wissenschaftler Verblendung sehen.

Feuerwehr in Hanga Roa

"Der kleine Ort ist  quasi die Hauptstadt, beherbergt das Kirche, Feuerwehr, Fußballplatz und Schule, Souvenirläden und Reisebüros und mit etwa 3.500 Einwohnern den Großteil der 4.000 Insulanern."

Pferdestärke

Die Osterinseln sind von Mythen, Sagen und ihren Moais geprägt und für Aussteiger und Zivilsationsflüchtlinge idealer Sehnsuchtsort.

Anakena

Am weißen Palmenstrand stehen die prachtvollsten Statuen. Und auch manches gestrandete Boot.