CHILE - ATACAMA 2 von 4
CALAMA, HIPPIE OASE SAN PEDRO, FLAMINGOS UND GEYSIRE
Tatio Geysire

Der schönste Anblick der von steilen Vulkangipfeln umgebenen Tatio Hochebene bietet sich bei Tagesanbruch. Die unterirdischen warmen Quellen gefrieren nachts und werden durch die Kälte mit dünnen Eishauben überzogen. Schmilzt das Eis in der morgendlichen Höhensonne, explodiert das gestaute Wasser und der Dampf entspannt sich bis zu zwanzig Meter in die Höhe.

Der frühe Aufstieg zum 4.300 Meter Altiplano ist kurvenreich und mühselig, dauert etwa dreieinhalb Stunden Fahrt und wird bereichert durch Kopfschmerzen und Übelkeit.

Sternbeobachtung

Beste Bedingungen für Astronomie. 350 Tage im Jahr ist es in der Atacama sternenklar und somit bestehen beste Voraussetzungen für Sternenbeobachtungen und Forschungsprojekte wie ALMA .

„Wenn deine Hände, Liebe, meinen entgegenkommen, was bringen sie mir, fliegend? Warum hielten sie plötzlich inne auf meinem Mund? Wie erkenne ich sie, als hätte ich sie damals, früher schon mal berührt, und als wären sie früher, ehe sie selber waren, mir schon über die Stirne, über die Hüfte gestreift? Ihre Sanftheit kam her, fliegend über die Zeit, über das Meer, den Rauch, über den Frühling flügelnd, und als du deine Hände mir auf die Brust gelegt, erkannte ich die Flügel der goldfiedrigen Taube, erkannte ich die Kreide und die Farbe von Weizen. Mein ganzes Leben habe ich nach ihnen gesucht. Treppen stieg ich empor, ging über Pflasterstraßen, Züge trugen mich fort, Wasser brachten mich her, und auf der Haut der Trauben meinte ich dich zu fühlen. Das Holz gab unversehens mir Berührung mit dir, und die Mandel verhieß mir deine heimliche  Sanftheit, bis deine Hände sich schlossen auf meiner Brust, um hier nun wie zwei Flügel zu beenden die Reise." (Pablo Neruda, Deine Hände)

Der Flug von Santiago nach Calama dauerte nicht viel länger als mit dem Zug von Braunschweig nach Berlin. Allein die Landschaft änderte sich mit den letzten Flugminuten rapide. Während wir die  schneebedeckten Gipfel der Anden rechts unter uns liegen ließen, erstreckten sich die staubigen Hügel der Atacama und die zahlreichen Tagebaulöcher bis zum Horizont. Im Hohen Norden Chiles liegen die Bodenschätze dicht beieinander. Silber, Salpeter, Kupfer, Lithium und Borax. Während Chile im Salpeterkrieg Peru und Bolivien mit britischer Unterstützung besiegen und große Landstriche hinzugewinnen konnte, erfolgt die heutige Ausbeutung der Lithium- und Boraxreserven in ebenso global wirtschaftlichem Interesse, wenn auch mit friedlicherem Hintergrund. Die riesigen Kupferlöcher von Calama streckten sich unter uns metertief und zahnlos in die Wüstenebene. Der Großteil der Fluggäste waren Monteure, Ingenieure und Schachtarbeiter, die vom Einkaufs- oder Familienbesuch wieder in die chilenische Einsamkeit zurückkehrten. Calama ist mit seinem kleinen Flughafen die zentrale Anlaufstelle der chilenischen Atacama. Der Bergarbeiterstadt gehört seit dem Salpeterkrieg 1879 zu Chile und zählt mit einem jährlichen Niederschlag von Null zu einem der trockensten Orte der Welt. Die staubigen Straßen und Bahngleise schienen ausnahmslos zur nahegelegenen Kupfermine Chuquicamata zu führen. Die im Jahr 1912 durch die US-Firma Guggenheim Bros. in Besitz genommen Lagerstätte mutierte im Laufe der Jahre zum größten Kupfer-Tagebau der Welt. Nachdem aufgrund der Umweltbelastungen die Stadt Chuquicamata geschlossen und zur Geisterstadt wurde, entwickelte sich Calama weiter. Unser Hotel lag im Zentrum, erdbebensicher gebaut und mit Swimmingpool. Die endlos scheinenden Reihenhäuser der Minenarbeiter in der Vorstadt gingen hier in moderne und klimatisierte Gebäude und Einkaufspassagen über. In den Malls wiesen zahlreiche geschlossene Läden auf die letzten Auswirkungen der Wirtschaftskrise hin. Das Erdbeben von einer 4,5er Stärke sollte ich indessen verschlafen.

Mit einem Kleinbus fuhren wir zur Oase San Pedro de Atacama am nördlichen Rand der Salar, wo wir einige Tage blieben. Der alte Siedlungs- und Handelsknotenpunkt, in dessen indigene Ursprünge die Spanier im 16.Jahrhundert ihre Siedlung errichteten, wurde in den frühen 1970er Jahren zum Fluchtpunkt einzelner Hippies und später zur Anlaufstelle tausender Touristen. Die zahllosen Rucksacktouristen hatten die kleine Oase ebenso für sich entdeckt wie die internationalen Reisebüros. Die geringe Bettenkapazität war ebenso schnell erschöpft wie die Wasservorräte. Glücklicherweise wurden die neuen Hotels am Rande des kleinen Dorfes stilvoll in die Landschaft eingebettet und die Anmut San Pedros hat sich im Schein der Vergangenheit bewahrt. Die Sehenswürdigkeiten der Oase sind rasch aufgezählt. Die Iglesia de San Pedro gegenüber der Plaza de Armas von 1744 beeindruckt vor allem mit ihrer Decke aus Kaktusholz, das auf den belgischen Pfarrer Gustave Le Paige zurückgehende Archäologiemuseum präsentiert die elftausend Jahre alte Atacameno-Geschichte. Die schmalen staubigen Gassen haben sich den Charme ihrer Vergangenheit bewahrt; die Asphaltstraßen enden bewusst an den Dorfrändern.

„Flöhe und Bettwanzen sind hier nicht bekannt“ stellte der aus Kassel stammende Botaniker Rudolf Armandus Philippi fest, als er 1853 im Auftrag der chilenischen Regierung die Beschaffenheit der Gegend erforschte. Während sich die Atacama in den frühen Jahrhunderten knochentrocken und bedrohlich zeigte, lockt sie heute mit surrealer Kraft. Die Wucht der untergehenden Sonne mit dem Blick auf das von langen Schatten sich langsam verdunkelnde Mondtal schien bis in die frühen Zeiten zu reichen, als die Erde am entstehen war. Am Horizont gingen die aktiven Vulkanketten der Atacama im verblassenden Abendrot in klaren Sternenhimmel über. Langsam strichen die letzten Schatten über die durch die extreme Sonnenstrahlung, Temperaturschwankungen und scharfen Winde entstandenen Erdkrusten, Nischen und salzige Vertiefungen, Zacken und Becken. Vergessen war der kleine Kreislaufkollaps von Sabine am Nachmittag, als wir durch das erhitzte Valle de Luna wanderten. Wir genossen den warmen Abend mit einigen Streifen Honigmelone, Oliven und Pisco Sour während etliche junge Chilenen die untergehende Sonne vom Dach ihrer Fahrzeuge aus verfolgten. Der Mond kletterte hell leuchtend über die Vulkankette der Atacama und ein klarer Sternenhimmel schälte sich langsam in die Nacht hinein. Aufgrund seines extrem trockenen Klimas und den wenigen Wolken die durch die umliegenden Berge abgeschirmt werden, sind in den vergangenen Jahren mehrere große Sternwarten errichtet worden. Neben dem Pathfinder Experiment ist das ALMA-Observatorium als größtes Radioteleskop der Welt gleichzeitig eine der bekanntesten und umfangreichsten Sternwarten in der Geschichte der Astronomie. Wir nutzten die letzte Nacht vor dem nächsten Vollmond für unsere eigene Sternbeobachtung. Die kleine Sternwarte südlich von San Pedro wurde von einem Franzosen betrieben, den die Sterne vor Jahren in die Wüste gelockt und die Liebe später gehalten hatte. Er vertraute auf 350 sternenklare Nächte im Jahr, erzählte uns jede Menge an technischen Details zu seinen Teleskopen und den neuesten Forschungsergebnissen. Indessen spannte sich der Sternenhimmel klar und deutlich über unsere Köpfe. Das Kreuz des Südens lag knapp über dem Horizont und die Sternbilder des Skorpion und Orion lagen wie die Magellanschen Wolken zum Greifen nahe. Die Temperatur war mit fortschreitender Nacht von 40°C auf etwa 10°C gefallen und wir waren um Mitternacht über das kleine Lagerfeuer ebenso froh wie über den heißen Becher Tee.   

Die Salar de Atacama, das größte Salzbecken der Atacamawüste soll etwa 40 Prozent aller weltweiten Lithiumvorkommen beherbergen sowie Borax und Kaliumsalze. Die Gewinnung der begehrten Rohstoffe, der für ökologische Zukunftstechnologien und die weltweite Energiewende unabdingbar sind, steht im krassen Gegensatz zu den Problemen die mit dem Abbau einhergehen. Im Osten des Salars schützt das Nationalreservat Los Flamencos die großen Flamingo-Bestände und Brutplätze und die in den Randgebieten lebenden Vikunjas, Gänse und Nandus. Die kleine Beobachtungsstation erreichten wir über Toconao, einem kleinen 600-Seelen-Nest vor steil aufragenden Vulkangipfeln. Auf den staubigen Straßen spielten einige Schulkinder Fußball und alte Pickups rosteten am Wegesrand vor sich hin. Die wellblechgedeckten Häuser duckten sich tief vor der gleißenden Sonne und reckten nur Fernsehantennen und chilenische Flaggen in den Himmel. Die kleine Jesuitenmission wirkte mit der alten Iglesia San Lucas aus dem Jahr 1750 wie aus einer verloren gegangenen Zeit. Der umzäunte Fußballplatz mit seinem grünen Kunstrasen am anderen Dorfende stemmte sich dafür bizarr und surreal gegen das graubraunrote seiner Umgebung ab. Wir waren einen Monat zu früh am Salar und verpassten die Brutzeit mit abertausenden Vögeln. Doch selbst die anwesenden Flamingos ließen sich nicht durch unser Erscheinen stören und ignorierten uns offensichtlich während ihrer Paarungsspiele.

Für die 95 Kilometer in den Altiplano brachen wir im frühen Dunkel auf. Die Nacht war gewohnt kalt und die ersten Kilometer bis zu den Tatio-Geysiren gut ausgebaut. Es gab im Dunkel nicht viel zu sehen und ich versuchte die nächsten drei Stunden noch eine Mütze Schlaf zu bekommen. Die letzten Kilometer auf das 4.300 Meter hoch gelegene Plateau waren kurvenreich; die Straße nur als besserer Feldweg zu verstehen. Im Schatten des El Tatio froren wir dem Sonnenaufgang entgegen. Das weite, tundrafarbene Geothermalgebiet mit seinen Geysiren und heißen Quellen ist das größte Thermalfeld der Südhalbkugel. Die unterirdischen warmen Quellen gefrieren des Nachts und ziehen sich in die kleinen Mulden und Löcher zurück, die von der Kälte mit dünnen Eisscheiben überzogen werden. Schmilzt das Eis in der morgendlichen Höhensonne, explodiert das gestaute, heiße Wasser und stößt seinen Dampf bis zu zwanzig Meter in die Höhe. Zahllose weiße Dampfschwaden zogen über die Hochebene. Das Tal war vom Pfeifen und Fauchen erfüllt.

Das Schauspiel endete als die Sonne zwei Handbreit über den Bergen stand. Wir kochten einige Eier im heißen Schwefelwasser, wärmten uns mit einigen Bechern Kaffee und genossen den weiten Ausblick. Hinter einer alten Lehmhütte entdeckten wir einige Bergviscachas, die an Kaninchen mit langen Schwänzen erinnerten. Das kleine Badebecken am Taleingang war die schlichte Version eines Schwefelbades wie ich von früheren Reisen her kannte. Vor einer einfachen Steinmauer mischten sich das kalte Wasser eines Gebirgsbaches und die direkt unter der Erdoberfläche liegenden heißen Quellen zu einem entspannten Naturbad.

Unser Rückweg vom Altiplano führte uns wieder über eine kurvenreiche Schotterpiste. Vorbei am abgeschiedenen, 800-jährigen  Caspana, am Vulkan Putana, der weiße Dampfwölkchen in den Himmel stieß, vorbei an zahlreichen Seen, Tümpeln und Wasserläufen die von ebenso zahlreichen Vögeln, Vikunjas, Lamas, Perlhühnern und Hochlandmöwen bevölkert wurden. Mir sollte der schnelle Aufstieg ins Gebirge jedoch nicht gut bekommen und ich hatte auf dem Rückweg nicht heftigen Kopfschmerzen und Übelkeit zu kämpfen. Glücklicherweise hielt die Höhenkrankheit nicht lange an und am Abend konnte ich mich wieder auf ein leichtes Abendessen konzentrieren. Zwei Tage später verließen wir die Atacama über Calama und flogen in den Süden Chiles. Das Kontrastprogramm zwischen dem „Großen Norden“ und dem 3.400 Kilometer entfernten „Magallanes“ hätte nicht größer sein können.

Highway Atacama

Von den Hauptstraßen führen immer wieder staubige Pisten ins Nirgendwo. Die Atacama ist aufgrund ihrer zahlreichen Bodenschätze lange Jahre umkämpftes Gebiet gewesen.

Toconao

Das 600-Seelen-Nest wird von fruchtbaren Feldern umrahmt. Sehenswert ist die Kirche mit ihrem separatem Glockenturm.

Flamingo-Beobachtung

Die Salar de Atacama garantiert mit ihren Vorräten an Krill und Mikroorganismen die Population zahlloser Altiplano-Vögel.

Valle de Luna

Die Wucht der untergehenden Sonne scheint bis in die Anfänge der Erde zu strahlen.

Vulkane der Atacama

Die Atacama gilt als trockenste Wüste der Welt die von zahlreichen aktiven Vulkanen umgeben ist. Die Eruptionen sind ebenso heftig wie regelmäßig.