Alice Piciocchi und Andrea Angeli
Sieveking Verlag

ISBN 978-3-944874-74-6

Eine Inselwelt versinkt im Meer

Alice Piciocchi und Andrea Angeli - Kiribati

Kiribatis winzige Flecken liegen weit verstreut nördlich und südlich des Äquators im Nirgendwo des Pazifischen Ozeans. Mit einer Gesamtfläche von etwas mehr als fünf Millionen Quadratkilometern gehören die Einwohner zwar zu einem der größten Staaten der Erde, zählen aber mit weniger als 800 Quadratkilometern Land als Kleinstaat. Etwa auf der Hälfte zwischen Hawaii und Australien gelegen, verläuft bis 1994 die Datumsgrenze zwischen den Inseln und Atollen. Etwas über 110.000 Menschen leben zersiedelt auf der anderen Seite der Welt auf Land, das sich Großteils weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel befindet. Die Atolle sind auf drei große Inselgruppen verteilt: die Gilbert-Inseln im Westen, den Phoenix-Inseln und den östlichen gelegenen Linien-Inseln. Die Insel Banaba liegt abseits im Westen, näher an Papua-Neuguinea. Die bewegte Geschichte von Mikronesien verläuft weitab der Kontinente. Die von den Europäern spät entdeckten Inseln werden im 19.Jahrhundert beliebte Anlaufhäfen für Walfänger, begehrt bei den Kolonialmächten und Schauplatz erbarmungsloser Schlachten und Gefechte im Zweiten Weltkrieg.

Der Brite James Cook entdeckt am 24.Dezember 1777 Kiritimati, das größte und bekannteste Atoll, verbringt auf dem unbewohnten Eiland die Festtage mit seinen Offizieren, Matrosen, Botanikern und Astronomen und gibt ihm den Namen Weihnachtsinsel. Die Vereinigten Staaten von Amerika nehmen 1857 die Insel in Besitz wie später Fanning und Washington Island. Das Britische Empire annektiert in den Folgejahren unter amerikanischen Protest Atolle, Inseln und Menschen, verwaltet, missioniert und führt in der Nähe der Pazifikinseln zahlreiche Atomtests durch. Im Juli 1979 erlangten die Inseln unter dem Namen Kiribati ihre Unabhängigkeit innerhalb des Commonwealth. Ende des 20.Jahrhunderts verschwinden infolge des durch den Klimawandel ansteigenden Meeresspiegels die ersten Riffe im Meer; 2070 sollen Schätzungen zufolge die letzten Koralleninseln versunken sein.

14.768 Kilometer legen Alice Piciocchi und Andrea Angeli zurück, um die im Untergang begriffene Inselwelt kennenzulernen. Anote Tong, der frühere Präsident von Kiribati, entwickelt einen Plan B, der die Massenumsiedlung der Insulaner über die nächsten Jahre vorsieht. Land wird auf den Fidschi-Inseln gekauft und Neuseeland um die Aufnahme von Klimaflüchtlingen gebeten.

„Als wir in Italien zu unserer Reise aufbrachen, erwarteten wir, ein Land im Notstand vorzufinden, verzweifelte Familien, die auf gepackten Koffern sitzen, und einen fundierten Evakuierungsplan, hinter dem das ganze Land steht. Das Szenario, das wir vorfanden, war jedoch ein ganz anderes: Asphaltierarbeiten an der einzigen, neben Hütten aus Holz und Blattwerk verlaufenden Straße, kleine Jungs, die Kartoffelchips aßen, aber kein Trinkwasser hatten, Männer, die sich die Zeit mit dem Tablet vertrieben, aber keine Schuhe trugen, Frauen, die sich mit Parfüm besprühten, zum Duschen aber auf Regen warten musste. Ein Volk, das mehr damit beschäftigt war, die Phase des Übergangs zwischen Tradition und Moderne zu bewältigen, als sich auf die mögliche Umsiedlung vorzubereiten.“, schreibt das Künstlerpaar im Vorwort.

Die jungen Italiener treffen auf ihrer Reise ins Blau am Rand der Weltkarte auf Familien, die hier seit Generationen zu Hause sind und alte Traditionen leben. Sie begegnen Fischern, die wie ihre Vorfahren aufs Meer hinausfahren und wo das Leben noch immer dem Rhythmus von Ebbe und Flut folgt. Auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, wo der Austausch mit der Außenwelt nur sporadisch bis gar nicht stattfindet, so sind doch noch die alten Legenden lebendig und werden magische Riten zelebriert.

„Kiribati“ ist ein Reisebericht der besonderen Art und ein bibliophiles Meisterstück, bei dem es den Autoren gelingt, auf eine spezielle Art die Alltagskultur und das Denken der Menschen von Kiribati nahezubringen, die von ihrer tiefen Verbundenheit mit dem Meer und dem Universum zeugen. Alice Piciocchi und Andrea Angeli gelingt der Spagat zwischen modernem Erzählstil und klassischen Nachschlagewerken, der sich in den Grafiken und Zeichnungen widerspiegelt. Was Alice in Worte fasst, erzählt Andrea in Zeichnungen – ein junges Künstlerpaar, das uns ein außergewöhnlich gestaltetes und informatives Leseerlebnis schenkt.