Wilhelm von Rubruk - Beim Grosskhan der Mongolen
Verlag Edition Erdmann

ISBN: 3-86503-003-3

Franziskaner, Wahrsagerei und Karakorum

Beim Grosskhan der Mongolen

National Geographic Deutschland:

Ein Franziskaner aus Flandern soll christlichen Missionaren das Mongolenreich öffnen. Wilhelm von Rubruk scheitert am Desinteresse des Herrschers Mangu. Doch sein Reisebericht wird zu einer spannenden Lektüre über eine unbekannte Welt.

Wenigstens eine gute Nachricht ist aus dem Osten gekommen. Der Dominikanermönch Andreas von Longjumeau hat sie von seiner Reise ins Mongolenreich mit nach Hause gebracht. Frankreichs König Ludwig IX., der sich auf einem Kreuzzug im Orient befindet, setzt all seine Hoffnungen auf diese sensationelle Neuigkeit. Prinz Sartak, berichtet Bruder Andreas, sei Christ geworden! Der Sohn von Fürst Batu, dem Herrscher über das Reich der „Goldenen Horde“, im Schoß der katholischen Kirche? Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Heißt das etwa, dass der Einbruch des einzig wahren Glaubens ins Reich der Reitervölker doch gelungen ist?

König Ludwig, Beiname „der Heilige“, kann gute Nachrichten brauchen. Der sechste Kreuzzug gegen die Muslime, den er anführt, brachte 1250 in Ägypten ein Desaster. Bei Mansura im Nildelta wurde das christliche Heer besiegt, Ludwig sogar selber gefangen genommen. Er kam nur gegen ein hohes Lösegeld und die Übergabe der Stadt Damiette frei. Und die diplomatische Mission von Bruder Andreas, die 1249 begonnen hatte, war insgesamt gesehen ebenfalls ein Fehlschlag. Sie brachte das Ende der Illusion, die mächtigen Mongolen für ein Bündnis gegen den Islam gewinnen zu können – sie hatten die Anfrage als Geste der Unterwerfung missverstanden.

Nur eben diese eine gute Nachricht ist geblieben. Sie ist zwar nur aus zweiter oder dritter Hand, dennoch klammert sich der König daran. Er will es noch einmal mit einer Gesandtschaft bei den Mongolen versuchen. Sie soll, nach der vorangegangenen Erfahrung, keinen offiziellen Charakter mehr haben. Der christliche Bote, den der König entsenden will, soll einen rein missionarischen Auftrag erhalten.

Der Ruf ergeht an einen Franziskaner, der schon seit einiger Zeit im Heiligen Land tätig ist. Bruder Wilhelm stammt aus dem Ort Rubruk in Flandern. Seine Muttersprache ist Deutsch. Über sein Vorleben ist nichts bekannt, nicht einmal das Jahr seiner Geburt. Doch er steht in einem guten Ruf als Prediger und Reisender, sonst hätte der Herrscher sich nicht für ihn entschieden. 1252 bespricht Ludwig der Heilige mit ihm die große Mission.

Franziskaner gehen barfuß, so schreibt es die Ordensregel vor. Und sie reisen nie allein, sondern stets zu zweit. So wird Wilhelm von Rubruk ein Ordensbruder zur Seite gestellt, Bartholomäus von Cremona. Dazu kommen der Kleriker Gossel, der junge orientalische Sklave Nikolaus und ein Dolmetscher, den Wilhelm in seinem Bericht als homo dei (Gottesmann) Turgomannus bezeichnen wird. Der byzantinische Kaiser Balduin II. gibt ein Empfehlungsschreiben mit. Die Gruppe bricht im Mai 1253 von Konstantinopel aus in den Osten auf.

Für den langen Ritt durch die Steppen bekommen Wilhelm und seine Begleiter Pelzröcke und -kapuzen, Filzstiefel und -socken. Sie sehen, wie Flüsse aus den Bergen im Boden versickern und Sümpfe bilden. Sie erblicken wilde Esel und Bergschafe mit langen Hörnern – Tiere, die es in Europa nicht gibt. Sie übersteigen die Berge des Kirgisischen Alatau, kommen an einer zerstörten Lehmfestung vorbei, machen eine Woche Pause im Marktflecken Kajalik. Wilhelm notiert die Namen exotischer Völker, durch deren Gebiet sie kommen: Uiguren und Serer, Tangut und Tebet, Longa und Solanga. «Es war, als setzte ich den Fuß in eine andere Welt», schreibt Wilhelm später. «Wenn ich doch wenigstens malen könnte! Ich würde alles mit dem Pinsel berichten.»

Im Juli 1254 macht sich Wilhelm von Rubruk auf den Rückweg. In Sachen Missionsfreiheit hat er nichts erreicht. Seine Bitte, in Karakorum bleiben zu dürfen, hat Mangu Khan freundlich abgelehnt. Von der Wolga aus zieht der Mönch nach Süden in den Kaukasus, beschreibt „Curgia“ (Georgien) und das „Land am Ararat“ (Armenien), den Oberlauf des Euphrat und die Stadt „Arserum“ (Erzurum). Von Kleinasien aus setzt er im Juni 1255 nach Zypern über. Sein Auftraggeber Ludwig der Heilige ist schon wieder nach Frankreich zurückgekehrt. So folgt er der Anordnung des Franziskaner-Provinzials, nach Akko zu gehen und dort Vorlesungen zu halten.

Wilhelm schreibt seinen Reisebericht. Ein Bote bringt ihn nach Paris. Dann aber verstaubt das Manuskript fast ungelesen in Archiven, nur fünf Kopien werden angefertigt. Im Jahr 1598 erscheint eine erste, noch fragmentarische Übersetzung seines Werks ins Englische. Die erste vollständige Textausgabe bringt 1839 Frankreichs Geographische Gesellschaft in Paris heraus. Eine deutsche Version erscheint 1925.

Von Wilhelm verliert sich nach seiner Rückkehr für immer die Spur. Ein halbes Jahrtausend vergeht, bis ausländische Besucher wieder ihre Füße in die nördliche Mongolei setzen, die der Flame durchwandert hat.