BERLIN
SPAZIERGANG ZWISCHEN KREUZBERG UND MUSEUMSINSEL
Berliner Methamorphosen

Auch wenn sich Berlin immer wieder gern vergleichen mag und als “kleine Schwester“ von London, Paris oder New York sieht, so ist doch auch gleich klar, dass sie ein Nachkömmling ist, eine wenn auch freche „Spätentwicklerin“, wie Michael Sontheimer schreibt. Während Berlins Entwicklung erst mit der zweiten deutschen Reichsgründung 1871 rasant Fahrt aufnahm, standen Paris und London bereits seit Jahrhunderten als Inbegriff von Metropolen. Berlins schnelle Angst, einen Platz „an der Sonne“ zu verpassen, übertrug sich auf den Rest des Landes und beschleunigte den Sog von Kaiserreich und industrieller Beschleunigung hin zum finalen Weltkrieg. In den 1920er Jahren tanzten die Berliner auf dem Vulkan. Die Stadt wurde pulsierendes Treibhaus für Film und Literatur, russische Emigranten und Opiumpartys. Unter dem Hakenkreuz wurde die Stadt zum Experimentierfeld Hitlers und Goebbels und 1945 zerstört, später geteilt und "als Hauptstadt der Spione" zum Schaufenster der geteilten Welt. Seit der Wiedervereinigung gibt sich Berlin wieder als "kleine Schwester": frech, sexy und ständig pleite.

Internationale Berlinale

Unter dem Motto „Schaufenster der freien Welt“ eröffnete die erste Berlinale am 6. Juni 1951 mit Alfred Hitchcocks „Rebecca“ im Titania-Palast. Während die frühen Jahre noch im Glanz eines Glamour-Festivals standen, auf dem sich zahlreiche Filmstars wie Henry Fonda, Errol Flynn und Rita Hayworth präsentierten, änderte sich die Ausrichtung ab Ende der 1960er Jahre aufgrund der gesellschaftlichen und politischen Polarisierung.

"Berlin ist als Hauptstadt das politische, wirtschaftliche und geistig-kulturelle Zentrum … Hier haben die zentralen Staats- und Parteiorgane sowie die Leitungen der gesellschaftlichen Organisationen ihren Sitz. In Berlin konzentrieren sich auch wissenschaftliche Einrichtungen, wie Hoch- und Fachschulen, Akademien und Forschungsinstitute von internationalem Rang. … Unübertroffen ist Berlins Stellung als Drehscheibe des nationalen und internationalen Verkehrs. Berlin, die Metropole des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden, präsentiert sich dem Touristen als moderne Großstadt, in der zu den wiedererbauten Sehenswürdigkeiten von „Spree-Athen“ neue Attraktionen hinzugekommen sind.“ So war im Reisebuch DDR noch 1989 nachzulesen.

Mit dem Fall der Mauer im Herbst desselben Jahres änderte sich das Bild an der Spree. Die „Hauptstadt der Spione“ sollte in den folgenden Jahren eine Metamorphose erleben. An erster Stelle im wiedervereinten Deutschland stand die, trotz aller westdeutscher Beteuerungen, äußerst knappen Zustimmung zur Hauptstadt der erneuerten Bundesrepublik und der millionenschwere Umzug bundesrepublikanischer Politik vom Rhein an die Spree. Grauer Osten und Buschzulage kamen vor Klaus Wowereits „Arm aber sexy“. Mit dem Ostberliner Aufschwung ging ein gefühlter Westberliner Niedergang einher. Jedenfalls verlautbarten so einige Gazetten in den 1990er Jahren. Wahr ist, dass Berlin schon immer ein Sonderfall war. Nimmt man einmal die ewigen Vergleiche mit Paris und New York beiseite - Berlin fühlte sich immer mal wieder als vernachlässigte Weltmetropole - so zementierte die Berliner Mauer in über 28 Jahren Unterschiede zwischen politischen Systemen und Menschen. Im Westen galt Berlin als sicheres Asyl für Wehrdienstverweigerer, die ostdeutschen Bezirke mussten für ihre sozialistische Hauptstadt jahrelange Opfer bringen.

Irgendwie hat sich das ehemalige Spionage-Drehkreuz in den letzten Jahren zum Magneten entwickelt und das preußische Revuegirl ist modern geworden. Berlin ist sexy. Arm auch. Aber nur als Hauptstadt kann man sich eben überteuerte Projekte leisten deren Fertigstellung so flexibel ist, wie Berliner Partynächte vielfältig sind.

Inzwischen sind auch die Kreuzberger Nächte nicht mehr die einzig langen im märkischen Sand. Bekannt wurde der Stadtteil durch seine besondere Lage und aktive linke Szene. Bedrängt von drei Seiten der innerdeutschen Grenze, schrieb der Postbezirk SO 36 seine bewegte Geschichte in den 1970er und 1980er Jahre als Zentrum der Alternativen und Hausbesetzerszene. Heute gilt die Gegend als einkommensschwächste Berlins, durchsetzt von einem Drittel Migranten, von denen der Großteil türkische Gastarbeiter und deren Nachkommen sind. Ab den späten 1980er Jahren geriet Kreuzberg regelmäßig durch teilweise schwere Straßenschlachten am 1.Mai in die Schlagzeilen. Früher noch politisch motiviert, hatte sich die Gewalt um die Jahrtausendwende ritualisiert. Während Kreuzberg während des Kalten Krieges ein Nischendasein geführt hatte, wandelte sich das Bild in den vergangen Jahren. Journalisten, New Economies und Touristen prägen heute das Bild des ehemals rebellischen Stadtteils. Unternehmen wie die Plattenfirma Universal, der Fernsehsender MTV und Clubs wie das Watergate haben eine Heimat im angrenzenden Stadtteil Friedrichshain gefunden. Nun ist es wieder angesagt, in Kreuzberg und Umgebung flanieren zu gehen. So angesagt, dass es wieder Proteste gibt.

"Unfreundlicher werden!" lautete ein bewährtes Berliner Rezept zum aktiven Selbstschutz. Nicht nur einmal habe ich die Bahn verpasst, weil internationales Ausgehpublikum im Dutzend sich nicht entschließen kann, auf welchem Bahnsteig sie jetzt ihre Beck's-Flaschen zu leeren gedenken. … An warmen Wochenenden herrscht auf der nahen Zentralachse Schlesische Straße internationaler Dauerpartybetrieb. Spanier, Skandinavier, Engländer und Franzosen fliegen per Billigjet ein, bleiben ein, zwei Wochen oder auch mal ein ganzes Jahr und glühen mit Wodka vom Kiosk und polnischem Bier vor, bis es Zeit wird in die Clubs zu gehen.“ beschrieb einst MERIAN.de-Autor Ralf Niemczyk die Situation in Berlins Mitte.

Auf dem Weg zwischen SO36 und Pergamonmuseum liegen Geschichte, Anekdoten und Kriminalerzählungen dicht beieinander und Berliner Luft obendrauf. Das Sowjetische Ehrenmal im Berliner Tiergarten lag über Jahrzehnte im Westteil der Stadt, das Brandenburger Tor war allein den Kampfgruppen und Kollegen der DDR-Staatssicherheit vorbehalten, die Straße „Unter den Linden“ galt seit Anbeginn als Schaufenster der preußisch-weltlichen Metropole  und „Erichs Lampenladen“, der aufgrund seiner Asbestdiagnose bis 2008 abgerissen wurde, sind nur einige Schlaglichter auf wenigen Kilometern.

Die Museumsinsel gilt als Keimzelle der Berliner Museumslandschaft und ist heute einer der wichtigsten Museumskomplexe der Welt, als welcher er seit 1999 zum Weltkulturerbe der UNESCO angehört. Während das Gelände in den frühen Berliner Jahren als „Pomeranzenhof“, Lustgarten und Warenumschlagsplatz auf unterschiedlichste Weise genutzt wurde, bestimmte eine Kabinettsorder von König Friedrich Wilhelm III. 1810 „eine öffentliche, gut gewählte Kunstsammlung“ anzulegen. 1822 legte Karl Friedrich Schinkel die Pläne für den Neubau vor und bereits 1830 eröffnete das Alte Museum, „das zugleich auch Preußens erstes öffentliches Museum wurde“ (Wikipedia). 1859 folgte das das königlich-preußische Museum, heute das Neue Museum, 1876 die Nationalgalerie. 1930 öffnete das Pergamonmuseum, welches erst seit 1958 so bezeichnet wurde. In einem früheren Bau waren zunächst die Ausgrabungsfunde der Berliner Museen, wie die zwischen 1878 und 1886 geborgenen Friesplatten des Pergamonaltars, untergebracht.

Die neue Dreiflügelanlage beherbergt heute die Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum und das Museum für Islamische Kunst. Die Architekturaufbauten des Pergamonmuseums sind Teil der weltweit bedeutendsten Sammlungen für griechische und römische Kunst. Hauptanziehungspunkt ist der namensgebende Pergamonaltar, dessen Skulpturenfries zu den Meisterwerken hellenistischer Kunst zählt und den Kampf der olympischen Götter mit den Giganten zeigt.

Am 30.September 2011 wurde das antike Pergamon in die Neuzeit geholt. Während die Staatlichen Museen zu Berlin eine umfassende Gesamtschau mit bisher nie gezeigten Funden aus den Grabungen in Pergamon zeigen, ergänzt der Künstler Yadegar Asisi mit seinem spektakulärem 360°-Panorama die Skulpturen, Mosaiken, Münzen und Alltagsgegenstände. Die Zusammenarbeit zwischen den Museen und dem in Wien geborenen Iraner, der in den 1970er Jahren an der Technischen Universität Dresden studierte, ist so einzigartig wie atemberaubend. Im Ehrenhof des Pergamonmuseums ist das Ergebnis der fünfjährigen Projektarbeit Asisis zu erleben. Quasi als Einstimmung auf die zahlreichen Ausstellungsstücke und Leihgaben, die auf dem Rundgang zu bestaunen sind und mit dem bekannten Pergamonaltar ihren ungewöhnlich frischen Höhepunkt erreichen. Yadegar Asisi hat bereits mehrfach Illusionen geschaffen. Mount Everest, Amazonas oder erst jüngst Dresden 1756. Seine Panoramen sind atemberaubend detailgetreu. Ist man einmal mittendrin, kann man sich der Faszination Asisis nur schwer entziehen. Doch dem Pergamonthema scheint sich insgesamt niemand entziehen zu können. Etablierte Reiseveranstalter kombinieren den Berliner Museumsbesuch mit Reisen an die Ausgrabungsstätten und versprechen einen „Archäologie-Krimi vom Feinsten“. Ebenso widmeten neben den bekannten Zeitschriften und Zeitungen auch National Geographic und Geo dem Thema ihre Aufmerksamkeit. Asisis Panorama indessen ist bis zum Herbst 2012 zu bestaunen.

Etwa zu der Zeit, genauer ab dem 23.September 2012, wird das neue Yadegar Asisi Panorama seinen Blick auf das geteilte Berlin in den 1980er Jahren freigeben. Es wird der bis dahin persönlichste Rundblick  des Künstlers werden, der in jenen Jahren in Kreuzberg gelebt hat und nun seinen Blick auf die geteilte Stadt wiedergibt. Der fiktive Herbsttag zeigt den „banalen Alltag“ vom Kreuzberger Westen hinüber über die Mauer in den Ostteil der Stadt. „Beim Kreuzberger Wohnungsumzug, als Graffiti-Maler an der Mauer, als Gäste am Imbiss oder als Betrunkene, die aus einer Eckkneipe kommen. Auf den grauen Fassaden im Osten sind DDR-Parolen in weiß auf rotem Grund zu sehen, während auf den grauen Kreuzberger Fassaden bunte West-Reklamen leuchten. Nicht zu übersehen sind die Grenzer in ihren Wachtürmen im Ostteil, die über den Todesstreifen hinweg das Leben im Westteil beobachten.“ Und während heute die Kreuzberger Nächte von Post-Yuppies und Touristen überlaufen werden, wendet Asisi den Blick zurück und ist „heute erschrocken über unsere gelebte Normalität in der damaligen Zeit“.

Pergamonaltar

"Pergamon war im 3. und 2. Jahrhundert v.Chr. Hauptstadt eines mächtigen Reiches, das große Teile der heutigen Türkei umfasste. Die Könige von Pergamon bauten ihre Residenz nach dem Vorbild Athens zu einer mächtigen Metropole aus und förderten Künste und Wissenschaften in hohem Maße." (Staatliche Museen zu Berlin)

Palast der Republik 2006

Der größte Kulturpalast der DDR war Bühne der sozialistischen Volksvertreter und internationaler Kulturbegegnungen. Nach dem Fall der Mauer wurde das Gebäude zur sozialistischen Altlast und zwischen 2006 und 2008 entsorgt.

Sowjetisches Ehrenmal

Das im Berliner Tiergarten befindliche Ehrenmal lag auf dem Territorium des britischen Sektors von Berlin. Auf Grundlage des Viermächtestatus der Stadt erfolgte die Überwachung jedoch durch sowjetische Soldaten bis zum Abzug der sowjetischen Truppen 1994. Danach wurde die Anlage an die Stadt Berlin übergeben.

Reichstagsgebäude

Das von dem Architekten Paul Wallot errichtete Gebäude beherbergte sowohl den Reichstag des Deutschen Kaiserreiches als auch den Reichstag der Weimarer Republik. Vom zweiten Westbalkon rief der SPD-Fraktionsvorsitzende Philipp Scheidemann am Nachmittag des 9. November 1918 die „Deutsche Republik“ aus.